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Kyjiw - Anatewka
Die Kinder hatten schreckliche Angst – ich habe sie niemals das „Schma, Israel“ so emotional beten gehört

Talja Lewitan, Hausfrau, Mutter von sieben Kindern
Foto zur Verfügung gestellt von Talja Levitan
Am 24. um fünf Uhr morgens rief mich die Rebbetzin Chana Asman an: „Aufwachen, Sachen packen, der Krieg hat angefangen.“ Wir wussten nicht recht, was wir tun mussten. Es war zwar so, dass es uns am ersten Tag gelang, meine Eltern vom Linken Ufer nach Anatewka (jüdisches Dorf bei Kyjiw, unter dem Patronat des Rabbiners Mosche Asman) zu bringen. Ein äußerst tüchtiger Fahrer war gefunden worden – meiner Meinung nach ein Tadschike. Er schrieb mir noch später, wollte wissen, wie es den Eltern ging.

Es schien, ich werde jetzt aufwachen und alles ist zu Ende

Beinahe sofort flogen Raketen und Militärflugzeuge. Am zweiten Tag zogen wir in den Keller um, weil es in Anatewka keine Schutzräume gibt. Explosionen wurden laut, Fenster bebten – es handelt sich um einen kellerartigen Raum mit kleinen Fenstern. Wir verstopften sie mit Kissen, damit die Scheiben nicht herausfielen. Wir schliefen und lebten dort, gingen nur hinaus zur Toilette und zum Essen.

Es schien, ich werde jetzt aufwachen und alles ist zu Ende. Auch vor dem Hintergrund von Explosionen, auch nachdem Panzer an der Stadt vorbeigefahren sind, auch als sie Kontrollpunkte errichtet haben.
Mit den Kindern war es besonders schwer – sie hatten schon ihren Vater kurz vor dem Krieg verloren, mein Mann starb am10. Januar. Vater – das bedeutet immer Schutz, und der fehlt jetzt…

16-stöckiges Gebäude in Kyjiw nach russischem Beschuss

Quelle: Staatlicher Dienst für Notfallsituationen der Ukraine
Wir wussten nicht, ob wir fahren oder bleiben sollten, ich fasste den Entschluss. Mein Vater ist 84 Jahre alt, er ist auf einem Auge blind, aber durch den Stress verlor er auch auf dem anderen Auge die Sehfähigkeit, dazu kommt, dass er und meine Mutter taubstumm sind. Am 28. Februar fuhren wir mit einer Evakuierungskolonne - 20 Autos und Busse mit Alten und Kindern.

Zwei Tage vor dem Krieg kaufte ich ein Auto, aber schaffte es nicht mehr, es auf mich zuzulassen. Wir fuhren mit meinem Jeep, aber am Steuer saß ein Betreuer. Ein Teil der Kinder fand im Kofferraum Platz, die anderen saßen mit mir und dem Fahrer im Fahrgastraum – insgesamt 8 Menschen.

An jedem Kontrollposten visierten sie uns an – die Soldaten hatten Angst vor Sabotage und Provokation. Die Kinder waren sehr erschrocken – ich hatte sie niemals das „Schma, Israel“ so emotional beten gehört, das Auto dröhnte sogar. Der Fahrer sagte, mit solchen Gebeten würde er selbst Jude werden. Wir fuhren an einem gesprengten Treibstofflager vorbei, von dem ein schwarzer Pilz aufstieg und sich wie eine Säule über der Erde erhob. Kontrollpunkte, Panzer, bewaffnete Menschen…

An den Kontrollpunkten winkten die Kinder den Soldaten der territorialen Abwehr zu und diese antworteten ihnen mit einem Lächeln. Das beruhigte uns ein wenig. Wir passierten Wasilkow und ich erhalte eine Mitteilung in der Telegram-Gruppe: alle sind in Deckung, die Stadt wird bombardiert. Wir fuhren an Bela Zerkwa vorbei – dieselbe Mitteilung. Irgendwie schafften wir es, an ihnen vorbeizukommen, als führe uns jemand… Aber die Angst blieb – an jedem Kontrollpunkt gab ich dem neunjährigen Josef Pampers, aussteigen konnte man nicht. Für den Jüngsten – Elik, ein Jahr und acht Monate alt – gab es deshalb einen Vorrat an Windeln.

Die zehnjährige Batel verlor durch den Stress das Bewusstsein

Gegen Nacht kamen wir an die Grenze zu Moldawien. Den Eltern im Bus rieten sie, den Kontrollpunkt zu überqueren, aber wir mussten den Wagen verlassen und die Grenze zu Fuß überschreiten.

Die Kinder waren sehr erschrocken – ich hatte sie niemals das „Schma, Israel“ so emotional beten gehört, das Auto dröhnte sogar. Der Fahrer sagte, mit solchen Gebeten würde er selbst Jude werden.
Für jedes der Kinder zwei Rucksäcke, das älteste – Dora – trug den Kleinen und sogar die Kleinste – die siebenjährige Chaja – zog die Windeln, alle schleppten etwas. Auf einem Fußgängerüberweg in Mogilew-Podolskij waren wir allein. Kaum betraten wir die Brücke, als Sirenen aufheulten und die Kinder losplärrten. Ich sage zu ihnen: „Ihr könnt weinen und schreien, so viel ihr wollt – nur lauft und bleibt nicht stehen.“ So rannten wir über die Brücke, die brüllenden Kinder mit den Sachen und ich mit den Koffern am Ende der Kette. Als wir schon auf der moldawischen Seite am Aufnahmepunkt für die Flüchtlinge waren, verlor die zehnjährige Batel das Bewusstsein durch den Stress…Die Moldawier sind erstaunliche Menschen mit großem Herzen, sie beruhigten die Kinder und ein Polizist ging zu Batel, nahm sie in die Arme und begann ihr zu erklären, dass schon alles in Ordnung und sie beschützt sei.

Sie brachten uns in ein geheiztes Zimmer – dort waren Essen und Getränke. Freiwillige kamen und forderten uns auf zu essen und zu trinken. Ich dankte ihnen, sagte jedoch, dass wir die jüdischen Speisegesetze beachten. Er selbst war Jude und sagte, er verstehe die Situation. Er zeigte uns Bilder seiner Kinder. Dieser Junge half uns auch – vieles erfolgte sogar ohne mein Mitwirken – jemand nahm mein Telefon und setzte eine SIM-Karte ein, ein anderer brachte Wasser, noch ein anderer besorgte Beruhigungstabletten, die Leute waren unglaublich gewandt. Danach reichten sie uns Essen in der Synagoge von Chisinau (Hauptstadt von Moldawien), später brachten sie uns in ein Erholungszentrum außerhalb der Stadt und von dort nach Rumänien, weil der Himmel über Moldawien geschlossen war, und dann nach Israel.

Proteste gegen den Krieg in Moldawien
Quelle: Wikipedia
Kaum betraten wir die Brücke, als Sirenen aufheulten und die Kinder losplärrten. Ich sage zu ihnen: „Ihr könnt weinen und schreien, so viel ihr wollt – nur lauft und bleibt nicht stehen.“
Wir übernachteten bei meinem Sohn. Ich erinnere mich nicht einmal daran, wie wir die Wohnung betraten. Er erzählte mir dann, ich sei eingeschlafen und er habe mich einfach ins Haus gezogen und ins Bett gelegt. Ich erwachte in den Kleidern, in denen ich im Keller in Anatewka geschlafen hatte, und mit einer Maske auf dem Kinn. Das war sehr komisch… Am nächsten Tag ließ sich das Ministerium für Integration im Hotel nieder – dort, in Beer-Schewa.

Als wir uns fragten, wo wir wohnen würden, orientierte ich mich an den Bildungseinrichtungen, um die jüdische Erziehung beizubehalten, die die Kinder in der Ukraine erhalten hatten. Wir haben Freunde in Kirjat-Malachi – wir mieteten dort eine Wohnung, die Kinder gingen in die Schule, langsam richten wir uns ein.

Das Trauma ist natürlich nicht vorbei – immer wieder weint eines der Kinder. Wir hatten jetzt ein wunderbares Purim-Fest – die gesamte Stadt feierte, viele Clowns, Vergnügungen, Mahlzeiten, alles sehr schön. Und plötzlich warf Josef alles hin, lief nach Hause und schluchzte stark: „Mama, wie kann ich feiern, wenn die Kinder in der Ukraine sich kein Kostüm kaufen können, weder Mohntaschen probieren, noch Mischloach Manot (Süßigkeiten) bekommen, bei ihnen dort ist kein Purim, nur Explosionen.“ Er regte sich so auf, dass er alles hinwarf, was er geschenkt bekommen hatte – sagte, dass er überhaupt nichts wolle, sich nicht freuen könne, wenn so etwas passiert. Und gleichzeitig dachte er an seinen Vater und dass wir ohne ihn feierten. Wenn es den Kindern schlecht geht, denken sie sofort an Papa und das ist sehr schmerzhaft.

Ein Artikel über die Familie Levitan in einer israelischen Zeitung
Foto mit freundlicher Genehmigung von Talja Levitan
Wir hatten jetzt ein wunderbares Purim-Fest – die gesamte Stadt feierte, viele Clowns, Vergnügungen, Mahlzeiten, alles sehr schön. Und plötzlich warf Josef alles hin, lief nach Hause und schluchzte stark: „Mama, wie kann ich feiern, wenn die Kinder in der Ukraine sich kein Kostüm kaufen können, weder Mohntaschen probieren, noch Mischloach Manot (Süßigkeiten) bekommen, bei ihnen dort ist kein Purim, nur Explosionen.“
Anatewka ist jetzt menschenleer, obwohl die Gebäude heil geblieben sind, allerdings fiel eine Granate neben das Grab des Rabbiners von Tschernobyl. Aber es gibt dort keine Bewohner, nur Wachleute.

Unsere Gemeinde hielt fest zusammen, anderenfalls weiß ich nicht, wie ich durchgekommen wäre. Alle organisatorischen Angelegenheiten regelten der Rabbi Mosche Asman und seine Söhne – während des gesamten Weges entschieden sie die technischen Probleme. Ein Teil der Leute ging dann auseinander, jemand ließ sich im Städtchen Nof a-Galil nieder, viele fuhren nach Zypern, einige nach Deutschland. Aber die Gemeinde besteht weiterhin, es gibt eine Gruppe in Whats App, wo man beliebige Auskünfte erhalten kann und ebenso Hilfe, Kleidung, Schuhe und Lebensmittel.

Statt eines Nachworts (September 2022)

Die Kinder haben sich eingewöhnt. Die Lehrer und der Schuldirektor helfen uns, sie bekommen zusätzliche Hebräisch-Stunden und ein Psychologe steht zur Verfügung. Kirjat-Malachi ist eine kleine Stadt mit einer starken Chabad-Gemeinde, die eine deutlich spürbare Unterstützung darstellt. Aber auch die Kyjiwer Gemeinde vergisst uns nicht – der Rabbi Asman hilft uns auch heute noch. Aber trotzdem halten die Kinder das Haus, in dem wir wohnen, nicht für ihr Haus. In Gedanken sind sie in Kyjiw, warten auf das Ende des Krieges und die Möglichkeit zurückzukehren.

Kinder der Familie Levitan
Foto mit freundlicher Genehmigung von Talja Levitan
Die Zeugenaussage wurde am 3. April 2022 aufgezeichnet

Übersetzung: Dr. Dorothea Kollenbach