In dieses Krankenhaus wurden Mädchen im Alter zwischen 3 und 10 Jahren mit schweren Verletzungen der Geschlechtsorgane eingeliefert – nur drei von ihnen überlebten, die anderen starben an inneren Blutungen
Eine Nachbarin aus der zweiten Wohnung erzählte, dass sie Verwandte in Polen habe, die im Krankenhaus arbeiteten. In dieses Krankenhaus wurden Mädchen im Alter zwischen 3 und 10 Jahren mit schweren Verletzungen der Geschlechtsorgane eingeliefert – nur drei von ihnen überlebten, die anderen starben an inneren Blutungen. Sie alle waren aus Jagodno – das ist ein Dorf nahe bei Tschernihiw, da waren die Russen seit dem 3. März. Dort versteckten sich die Panzer direkt zwischen den Häusern – direkt unter der Wand. Sie plünderten und vergewaltigten. Da waren Burjaten. Sie wurden namentlich aufgeführt – ich sah dann die Fotos…
Sie stahlen Wasserkocher und Hausschuhe. Wegen derartigen Unsinns verloren Menschen ihr Leben. Viele Bewohner unseres Hauses hatten Eltern, die in Dörfern in der Umgebung leben. Man erzählte, dass sie aus den Datschen alles mitnahmen, obwohl nichts Besonderes darin war. Unsere Nachbarin Natascha erhielt einen Anruf, dass Leute in ihre Wohnung eingedrungen wären, alle Lebensmittel aufgegessen und Bettwäsche und Unterhosen usw. mitgenommen hätten, auch den Mikrowellenherd und Schuhe.
Zufällig erfuhren wir von Evakuierungsbussen der Synagoge
Die einzige Informationsquelle war das Radio – ein Nachbar hat mich mit seinem Handy mit einem Kabel verbunden. Die Telefone der Nachbarn wurden über Solarzellen aufgeladen. Aber es gab kein eigentliches Netz, nur Life-Kommunikation – ich ging nach draußen, sprach mit den Nachbarn, wir schauten, von welcher Richtung der schwarze Rauch kommt. Und dann im Laufschritt nach Hause.
Alle Brücken waren gesprengt, es gab keine Verbindung zur Außenwelt. Wir wussten nicht einmal, welche Synagogen Autobusse für Evakuierungen zur Verfügung stellten. Aber dann wurde durch Mundpropaganda bekannt, dass alle bereits abgefahren waren und nur der Mann einer Kollegin geblieben war, der in der Synagoge Dienst tat.
Später dann, als die Ukrainischen Streitkräfte ein Stückchen zurückerobert hatten, wurde eine Pontonbrücke gebaut und Autobusse konnten wieder fahren. Wir hörten das zufällig von einer Freundin, die ein Schulkind hatte. Am 20. April gingen wir zu Fuß zur Synagoge – und fuhren zu Dritt. Über Randbezirke fuhren wir über den Fluss Snow, über Ostjor – sahen längs des Weges verbrannte, zurückgelassene Kriegstechnik, verkohlte Gliedmaßen – niemand entfernte sie. Das Dorf war abgebrannt, die Überlebenden waren geflohen und so liegt nun alles da. Ausgebrannte Häuser an beiden Seiten der Straße, ein ATB-Geschäft (Einzelhandel-Geschäft), Tankstellen – alles verbrannt. Normalerweise sind es bis Kiew anderthalb Stunden, aber hier waren es in manchen Außenbezirken und durch Felder 4,5 Stunden.
In Kyjiw warteten wir eine Woche, bis ein Evakuierungsbus von der Synagoge in Podol nach Ungarn fuhr – dort lebt meine Tochter mit dem Enkel. Schon in Budapest wendete ich mich an die Israelische Botschaft, durchlief die Konsulatskontrolle und am 10. Mai schickt uns „Sochnut“ auf die Reise. Der erste Eindruck: jeder hier ist einer von uns. Am Flughafen Ben Gurion nahmen uns Soldaten in Empfang, auf ihren Namensschildern stand: Sergej, Anton, Roman, Dmitrij…