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Tschernihiw
Morgens führte ich meinen Hund aus und dachte, das seien Gasballons auf dem Weg, aber das waren Bomben

Swetlana, Hauptbuchhalterin
Frühmorgens am 24. machte ich mich fertig für die Arbeit und erhielt eine SMS, dass die öffentlichen Verkehrsmittel nicht fuhren. Belarus ist nicht weit von uns entfernt und wir waren das Ziel eines der ersten Treffer. Sofort gingen die Luftangriffe los, es bildeten sich Schlangen vor den Lebensmittelgeschäften, dann war die Wasserversorgung gestört und der Strom wurde abgeschaltet. Mein Vater geht mit Krücken, meine Mutter mit einem Gehstock. In den ersten Tagen stand ich Schlange vor der Apotheke und kaufte Blutdruck-Medikamente für meine Eltern. Aber dann wurde ich von Chesed angerufen – ich fuhr mit dem Rad dorthin, es gab keine andere Möglichkeit, und erhielt Medikamente und Pampers, sie gaben mir alles.

Sie haben mit Bomben für unser Viertel nicht gegeizt

Wir hatten einen Vorrat an Graupen, Zwiebeln und Äpfeln – wir verwahrten alles draußen, der Kühlschrank funktionierte schon nicht mehr. Ich kaufte gefrorene Sardinen, taute sie auf und briet sie in Mehl. Das reicht aus, besonders wenn man nervös ist und keinen großen Appetit hat. Eier gab es überhaupt nicht, Brot backten wir manchmal selbst. Sei es wie es sei, wir überlebten, Kartoffeln hatten wir immer, daraus lassen sich 20 Gerichte zubereiten.

Es war noch gut, dass wir Gas hatten – wir machten den Gasherd an und heizten so das Zimmer. Wir kochten Wasser, füllten es in Plastikflaschen und nahmen sie mit ins Bett. Wir zogen zwei Paar Socken und Trainingshosen an – und wachten trotzdem durch die Kälte auf.

Ruinen eines Gebäudes 50 Meter vom Haus der Respondentin entfernt

Foto zur Verfügung gestellt von Svetlana
Tagsüber Explosionen und Beschuss, nachts etwa zur gleichen Zeit – um 11 Uhr abends und etwa um 4 Uhr morgens – warfen russische Flugzeuge schwere Bomben wo auch immer ab. Wir wohnen in einem Privatsektor im Zentrum der Stadt – in einem einstöckigen Haus mit sechs Wohnungen, aber unser Viertel wurde nicht von Bomben verschont.

Im Gemüsegarten stand ein gutes Treibhaus, in dem wir für die Kinder Gurken und Tomaten anbauten. Es wurde vollständig zerstört, die Scheiben zersprangen und bis zum Morgen war das Haus zusammengefallen. Alte Bäume wurden wie mit einem Messer zerschnitten. Es war unheimlich. Ich verschliss drei Paar Handschuhe, während ich die Scherben aufsammelte. Und dann fand ich im Garten Splitter – sie waren klein aber schwer.

Ich wohnte in der sechsten Etage und in der ersten lebte ein älteres Ehepaar. Sie hatten erwachsene Kinder, zu deren Haus gingen die Alten, um die Hunde zu füttern – sie züchteten sie. Einmal ging der alte Mann mit einem Bekannten seines Sohnes und einem sechzehnjährigen Jungen die Hunde füttern – doch da fielen Bomben. Der Alte und der Junge wurden getötet, der Bekannte verlor ein Bein und erlitt eine Bauchverletzung. Er wurde ins Krankenhaus gebracht und wir durchwühlten dann unsere Hausapotheke, um etwas zu finden, und wären es nur Schnupfentropfen. Er hatte auch eine Kopfverletzung, Flüssigkeit sammelte sich in seiner Nase und man fürchtete, dass sich ein Hirnödem entwickeln würde.

Man beerdigte die Toten im Stadtzentrum – einfach in schwarzen Säcken

Die Nachbarn hatte es schlimm getroffen – sie wohnen 100 Meter von uns entfernt. Das Haus und die Nebengebäude – alles war durch den Luftangriff verbrannt. Morgens führte ich den Hund aus – zuerst begriff ich gar nicht, was da auf dem Weg lag. Es sah aus wie Gasballons, aber wie es sich herausstellte, waren es Bomben. Und in 100 Metern Entfernung wurde ein anderes Haus getroffen – die Explosionswelle riss die Eingangstür heraus mitsamt Rahmen, im Windfang und im Flur gingen die Scheiben zu Bruch.
Sie bombardierten die Stadtverwaltung, Gärten, Schulen, eine Zahnarztpraxis und die Kinder-Poliklinik. Es waren besonders Luftangriffe, kein Beschuss. Sogar unser Friedhof Jazewo wurde bombardiert. Am stärksten waren die Gräber der „Afghanen“ (Benennung der Veteranen des Afghanistan-Krieges), die Denkmäler für die Soldaten der ATO (Antiterrororganisation während des Krieges in Donbass 2014-2018) und die Kapelle betroffen.

Am Purim-Fest gingen wir in die Synagoge, kauften Mehl, der Mann meiner Freundin backte selbst Brot, ich hatte Zwiebeln und wir machten Salat aus Kohl – kurz und gut, wie feierten irgendwie. Zwar saßen wir ruhig da, nicht wie sonst beim Purim-Fest, um 6 Uhr beginnt die Sperrstunde, wir müssen nach Hause gehen, alles ausschalten, völlige Verdunkelung. Ein solches Vorgehen hatte sich eingespielt – um 6 Uhr abends legt man sich schlafen und um 3 Uhr nachts steht man auf, weil bald ein Flugzeug kommen wird.

Neben uns befindet sich das Stadion „Gagarin“ – dort warfen sie drei riesige Flugzeugbomben ab. Bei jedem Schlag sprang ich auf dem Sofa hoch, die Erde bebte. Einmal ging ich meine Eltern besuchen und geriet in einen Beschuss – ich fiel auf den Boden und wartete, bis es vorüber war.

Meine Freundin stand um Brot an (dafür brauchte man bis zu vier Stunden) und berichtet, es habe zwei Luftangriffe gegeben, und sie ging in den Hof. Als sie herauskommt, sieht sie vierzehn schwarze Säcke liegen
Bei uns in Tschernihiw kamen 700 Menschen ums Leben. Meine Freundin stand um Brot an (dafür brauchte man bis zu vier Stunden) und berichtet, "es habe zwei Anflüge gegeben, und sie ging in den Hof. Aber dann gab es noch mehr Anflüge und ein Teil der Menschen blieb stehen.“ Als sie herauskommt, sieht sie vierzehn schwarze Säcke liegen. Aber da der Friedhof schon geschlossen ist, werden sie in einem Wäldchen im Stadtzentrum beerdigt – es gab keine Gräber, nichts. Nur in schwarzen Säcken. Ein unheimliches Schauspiel.

Uns ist klar, dass die Russen schon lange nicht mehr unsere Brüder sind

Tschernihiw ist eine ziemlich intelligente Stadt. Hier wohnen Ärzte, Lehrer, Soldaten. In der Familie sprachen wir Russisch und ab der fünften Klasse lernten wir Ukrainisch. Im Haus meiner Eltern erhielten in den 1970er Jahren Mediziner und Pädagogen (Ärzte und Lehrer) Wohnungen. Mein früherer Mann wohnt überhaupt in Moskau, und da kam er, um sein Kind zu besuchen, und geriet unter „seine eigenen“ Bomben. Seine Eltern wohnen in Nowij Belous (Dorf im Bezirk Tschernihiw), dieses Dorf ist praktisch völlig zerstört, die Brücke haben sie gesprengt. Der Arme hat sich dermaßen erschrocken, dass er über Repki lief – das sind 40 Kilometer von Tschernihiw. Er fuhr durch einige Felder, da Privatautos beschossen wurden. Es war wie eine Safari.

Eine mir bekannte Richterin wollte mit ihrem zwölfjährigen Sohn in ihrem Wagen fortfahren. Dort ist sie geblieben. Später sahen wir auf Facebook die Beileidsbekundungen ihrer Kollegen. Sie ist wohl bei dem Versuch, die Stadt zu verlassen, ums Leben gekommen. Deshalb ist uns klar, dass die Russen schon lange nicht mehr unsere Brüder sind.

Dennoch, niemand hat das erwartet. Vor vielen Jahren machte ich Urlaub in Sewastopol, schaltete dort irgendeinen russischen Sender ein und fiel fast vom Stuhl. In der Ukraine zeigt sich eine Wirtschaftskrise, Hunger stellt sich ein, es ist so, dass die Menschen beinahe ihre Kinder essen. Ich schaltete diesen Blödsinn sofort ab, aber die Russen hören so etwas seit Jahren.

In dieses Krankenhaus wurden Mädchen im Alter zwischen 3 und 10 Jahren mit schweren Verletzungen der Geschlechtsorgane eingeliefert – nur drei von ihnen überlebten, die anderen starben an inneren Blutungen
Eine Nachbarin aus der zweiten Wohnung erzählte, dass sie Verwandte in Polen habe, die im Krankenhaus arbeiteten. In dieses Krankenhaus wurden Mädchen im Alter zwischen 3 und 10 Jahren mit schweren Verletzungen der Geschlechtsorgane eingeliefert – nur drei von ihnen überlebten, die anderen starben an inneren Blutungen. Sie alle waren aus Jagodno – das ist ein Dorf nahe bei Tschernihiw, da waren die Russen seit dem 3. März. Dort versteckten sich die Panzer direkt zwischen den Häusern – direkt unter der Wand. Sie plünderten und vergewaltigten. Da waren Burjaten. Sie wurden namentlich aufgeführt – ich sah dann die Fotos…

Sie stahlen Wasserkocher und Hausschuhe. Wegen derartigen Unsinns verloren Menschen ihr Leben. Viele Bewohner unseres Hauses hatten Eltern, die in Dörfern in der Umgebung leben. Man erzählte, dass sie aus den Datschen alles mitnahmen, obwohl nichts Besonderes darin war. Unsere Nachbarin Natascha erhielt einen Anruf, dass Leute in ihre Wohnung eingedrungen wären, alle Lebensmittel aufgegessen und Bettwäsche und Unterhosen usw. mitgenommen hätten, auch den Mikrowellenherd und Schuhe.

Zufällig erfuhren wir von Evakuierungsbussen der Synagoge

Die einzige Informationsquelle war das Radio – ein Nachbar hat mich mit seinem Handy mit einem Kabel verbunden. Die Telefone der Nachbarn wurden über Solarzellen aufgeladen. Aber es gab kein eigentliches Netz, nur Life-Kommunikation – ich ging nach draußen, sprach mit den Nachbarn, wir schauten, von welcher Richtung der schwarze Rauch kommt. Und dann im Laufschritt nach Hause.

Alle Brücken waren gesprengt, es gab keine Verbindung zur Außenwelt. Wir wussten nicht einmal, welche Synagogen Autobusse für Evakuierungen zur Verfügung stellten. Aber dann wurde durch Mundpropaganda bekannt, dass alle bereits abgefahren waren und nur der Mann einer Kollegin geblieben war, der in der Synagoge Dienst tat.

Später dann, als die Ukrainischen Streitkräfte ein Stückchen zurückerobert hatten, wurde eine Pontonbrücke gebaut und Autobusse konnten wieder fahren. Wir hörten das zufällig von einer Freundin, die ein Schulkind hatte. Am 20. April gingen wir zu Fuß zur Synagoge – und fuhren zu Dritt. Über Randbezirke fuhren wir über den Fluss Snow, über Ostjor – sahen längs des Weges verbrannte, zurückgelassene Kriegstechnik, verkohlte Gliedmaßen – niemand entfernte sie. Das Dorf war abgebrannt, die Überlebenden waren geflohen und so liegt nun alles da. Ausgebrannte Häuser an beiden Seiten der Straße, ein ATB-Geschäft (Einzelhandel-Geschäft), Tankstellen – alles verbrannt. Normalerweise sind es bis Kiew anderthalb Stunden, aber hier waren es in manchen Außenbezirken und durch Felder 4,5 Stunden.

In Kyjiw warteten wir eine Woche, bis ein Evakuierungsbus von der Synagoge in Podol nach Ungarn fuhr – dort lebt meine Tochter mit dem Enkel. Schon in Budapest wendete ich mich an die Israelische Botschaft, durchlief die Konsulatskontrolle und am 10. Mai schickt uns „Sochnut“ auf die Reise. Der erste Eindruck: jeder hier ist einer von uns. Am Flughafen Ben Gurion nahmen uns Soldaten in Empfang, auf ihren Namensschildern stand: Sergej, Anton, Roman, Dmitrij…

Die Augenzeugenbericht wurde am 17. Mai 2022 aufgezeichnet

Übersetzung: Dr. Dorothea Kollenbach