Statt eines Nachworts
Ich kehrte Mitte März nach Kiew zurück. Damals war die Stadt von der russischen Armee halb umzingelt, nur der Süden war die Straße des Lebens. Ich hatte Glück – unser Zug stand nur vier Stunden im Feld, bei Borjaka (demselben Bojberik, wo die Handlung von „Tewje, der Milchmann“ spielt). Zusammen mit den anderen Passagieren beobachtete ich aus dem Fenster des Abteils den Flug zweier Raketen. In Kiew übernachtete ich unter dem Dröhnen der Artillerie bei Bekannten, die in der Nähe der Trasse nach Irpen wohnten. Am Morgen ging ich zum letzten Kiewer Kontrollposten, zu dem die Verletzten aus Irpen gebracht wurden. Dort, auf dem Randstreifen, lagen die Leichen der Getöteten, die geborgen werden konnten.
Aufgrund des schrecklichen Durcheinanders gab es am Kontrollpunkt keine eindeutige Zuständigkeit. Da standen sowohl Soldaten als auch Polizei und Nationalgarde. Zwei Stunden lang bat ich sie, mich nach Irpen durchzulassen, in meiner Wohnung seien zwei Katzen und eine Schildkröte zurückgeblieben. Letzten Endes wurde ich in einen Militärwagen mitgenommen, der an die Frontlinie fuhr. Ganz „vorne“ war die Atmosphäre wesentlich einfacher – Artillerie und Maschinengewehre funktionierten und niemand kümmerte sich um einen Zivilisten, der freiwillig in die Hölle zurückkehrt.
Ich überquerte eine halbgesprengte Brücke und sah unterwegs viele zurückgelassene, beschossene und ausgebrannte Autos, in denen Menschen versucht hatten, aus Irpen herauszukommen. Ich begab mich in Richtung meines Hauses, wo gekämpft wurde. In diesem Augenblick war die Stadt zweigeteilt zwischen russischen Einheiten und den Positionen der Ukrainischen Streitkräfte – eine riesige graue Zone, um die in den Stadtvierteln gekämpft wurde.
Ich will mich nicht daran erinnern, wie ich diese drei Kilometer geschafft habe, sage nur so viel, dass ich in meine Brusttasche neben meinen Pass einen Zettel legte: „Wenn meine Leiche gefunden wird, bitte ich, meinem Vater zu benachrichtigen“, es folgte seine Telefonnummer.
In jedem Fall mussten unsere geliebten Haustiere gerettet werden. Unter dem Donnern der Artillerie und Maschinengewehrsalven gelangte ich zu unserem Haus. In unser neunstöckiges Haus waren einige Geschosse eingeschlagen, fünf Nachbarn waren getötet worden. Aber meine Wohnung war heil geblieben, außer dass alle Fenster zerborsten waren. Die verschreckten Katzen hatten sich unter der Badewanne versteckt und die Schildkröte war wegen der Kälte fast in den Winterschlaf gefallen. Ich steckte sie alle in den Rucksack und in Tüten und auf die gleiche Weise begann ich mich auf den Rückweg zu machen. Auf dem Weg traf ich auf einen ukrainischen Scharfschützen, der in einem Graben auf dem Rasen lag.