Denis. Früher lagen uns die Krim und Donbas nicht sehr am Herzen, aber wenn einen das persönlich betrifft…
Olga. Ich fuhr gerade damals nach Kiew, als zu dieser Zeit viele Donezker in der Stadt waren. Man ging ihnen aus dem Wege – das war deutlich zu sehen und unangenehm.
Denis. Kiew war damals der Meinung, dass Donezk selbst schuld sei, ich fürchte, sie sagen nun dasselbe von Cherson. Euer Rock war kurz, deshalb haben sie euch vergewaltigt. Oder weil ihr Russisch gesprochen habt. Obwohl ganz Kiew Russisch spricht.
Olga. Da siehst du in Cherson die ukrainischen Nachrichten und merkst, dass sie überhaupt nicht die Wirklichkeit wiedergeben. Selbst jetzt (im September 2022) schreiben sie, dass die Antonowski-Brücke gesprengt sei. Aber sie ist nicht gesprengt. Sie ist zwar beschädigt, aber Autos können darüber fahren. In Cherson und in Kachowka war am Tag, als der Krieg begann, kein einziges Polizeiauto geblieben. Ebenso keine Ukrainischen Streitkräfte. Aber die Unseren berichten von einer heldenmütigen Verteidigung. In solchen Momenten ist es einem schrecklich und schmerzvoll, weil man nicht verstehen kann, warum es so ablief.
Woher kommen die berühmten 2 bis 3 Wochen von Arestowytsch? Er sagte bereits im April – 2 bis 3 Wochen und Cherson ist befreit. Wir fuhren für 2 bis 3 Wochen nach Odessa und wollten im Mai zurückkehren. Dann im Juli, im August, aber jetzt glaubt niemand mehr daran.
Es wird einem sehr traurig zumute, wenn man sich erinnert, was mit Donbas geschah. Und Kiew sagt auch hier genauso, sie seien selber schuld. „Alle die wollten, fuhren weg!“ Und die blieben, unterstützen die Besatzer. Aber sie unterstützten sie nicht, wir unterstützen sie nicht!
Haben wir uns so lange von der UDSSR losgerissen, um in die Sowjetunion zurückzukehren?
Denis. Wenn man kein eigenes Auto besaß, musste man ein Ticket für ein Transportunternehmen kaufen – 300 Dollar pro Person mit minimalem Gepäck. Für eine Familie 1200 Dollar, die hat nicht jeder. Man konnte nichts verkaufen. Und dann braucht man auch noch Geld, und zwar nicht wenig, um sich am neuen Ort einzurichten. Derjenige, der noch zusätzliche fünftausend Dollar besaß, fuhr weg.
Olga. Alles, was du hattest, blieb dort. Und wir haben bis jetzt nicht einmal die Möglichkeit zu schauen, was dort vor sich geht. Dort sind nun Russen mit Maschinengewehren und in Panzern. Ja, und wozu auch? Damit die Kinder in einer russischen Schule unterrichtet werden, die vom Bologna-System ausgeschlossen wurde?
Denis. Es ist verständlich, dass Menschen auch in Donezk wohnen, doch dort gibt es keine Zukunft. Aber der russische Pass ist überhaupt zu einem schwarzen Kennzeichen geworden und sie zwingen uns, einen Pass der Russischen Föderation zu nehmen. Haben wir uns so lange von der UDSSR losgerissen, um jetzt in die Russische Föderation zurückzukehren? Ins Lager.
Natürlich gibt es auch Bekannte, die bewusst in Cherson geblieben sind. Sie wollen nicht alles nochmals von vorne beginnen. Vermögen, Geschäft – es ist schwer das zu verlassen, für das du so lange gearbeitet hast.
Olga. Sie waren niemals für Russland und haben es niemals unterstützt. Aber, wie meine Lehrerin schrieb, als unsere Streitkräfte begannen die Brücke zu bombardieren: „Jetzt leben alle in der Hoffnung, das die Aufhebung der Besatzung für uns alle nicht mörderisch sein wird.“
Wir haben in Deutschland drei Wochen in einem Flüchtlingslager verbracht und einige haben das nicht ausgehalten – ich kenne eine Familie, die nach Mariupol zurückgekehrt ist! Jeder durchlebt das auf seine Weise.