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Cherson
Während des ersten Monats der Besatzung erlaubten die Russen nicht, jemanden zu beerdigen
Olga und Denis, Inhaber einer Geschäftskette für Bioprodukte
Gebäude der staatlichen Regionalverwaltung von Cherson nach russischem Beschuss

Quelle: Staatliche Regionalverwaltung von Cherson
Denis. Am ersten Kriegstag konnte ich noch nicht glauben, was da geschah. Wir gingen wie gewöhnlich zur Arbeit und öffneten die Geschäfte. Natürlich war da Lärm, aber außerhalb der Stadt, in Tschernobajewka. Wir dachten, es würde sich darauf beschränken.
Am nächsten Tag wurde klar, dass die Russen praktisch schon in Cherson und wir von der Ukraine abgeschnitten waren. Das war ein Schock. Trotzdem arbeiteten wir voll weiter bis zum 1. März, als die Russen tatsächlich die Stadt eingenommen hatten. Erst da erkannten wir, dass all das Realität und nicht das Hintergrundrauschen der Massenmedien war.

Als erstes beeilten wir uns, eine Dusche zu nehmen

Olga. Ich habe andere Erinnerungen. Ich wurde um 5.30 wach, mein Mann sagte: „Der Krieg hat angefangen, sie haben den Flughafen gesprengt.“ Als erstes stürzten wir unter die Dusche, weil sie das Wasser sofort abstellten. Dann beschlossen wir zu tanken – ich fuhr mit nassen Haaren los. Beim Fahren sehe ich eine riesige schwarze Rauchsäule – wie eine Szene aus einem Katastrophenfilm. Und die Leute laufen mit Taschen irgendwohin. Das war ungefähr um 7 Uhr morgens. Ich komme zur Tankstelle, sehe eine riesige Schlange und begreife, dass es sinnlos ist, da anzustehen.

Denis. Panik begann sich auszubreiten, aber da wir ein eigenes Geschäft besitzen, standen wir nicht Schlange, sondern bedienten im Gegenteil die Leute in unseren Geschäften. Freitag, den 25. Februar, machte ich noch Bestellungen für die nächste Lieferung – alles wie sonst. Erst am Montag erfuhr ich, dass ich nichts bekommen würde. Den größten Teil unserer Lebensmittel – mit kurzem Verfallsdatum – mussten wir entweder verkaufen oder so abgeben.

Cherson, Brand in den Räumlichkeiten des Roten Kreuzes

Quelle: Nationale Polizei der Ukraine
Olga. Als ein Flugzeug sehr laut direkt über uns vorbeiflog, erschraken unsere Kinder, die 3 und 7 Jahre alt waren. Wir richteten sofort einen Platz im Keller her, ich besorgte Wasser, Essen, unsere Papiere und Kindersachen. Wir gingen hinunter, aber es war dort so kalt, dass wir es dort nur zwei Stunden aushielten. Wir übernachteten in unserer Wohnung, Sirenen meldeten sich nicht, oder besser, wir hörten keine. Es war wirklich schrecklich, als die Plünderungen begannen – am 1. März, am ersten Tag der Besatzung.

Denis. Das war der schrecklichste Tag – wir verließen das Haus nicht, wie eigentlich auch die meisten Bewohner von Cherson. Sie filmten von den mehrstöckigen Häusern aus, wie die Kolonnen der russischen Soldaten über die Straßen marschierten. Wie sie sich verhalten würden – ist nicht klar.

Olga. Wie es aussah, führte die territoriale Verteidigung nachts einen ungleichen Kampf mit ihnen – sie hatten nicht einmal Waffen, nur Molotow-Cocktails. Alle wurden getötet, Dutzende Leichen.

Die Stadt wurde isoliert, keine Medikamente, keine Lebensmittel.

Denis. Am 2. März nahm ich einen Rucksack, setzte mich auf ein Fahrrad und fuhr ins Geschäft. Es war nicht geplündert worden, obwohl sie schon begonnen hatten, die großen Supermärkte auszurauben – sowohl die Russen als auch die Einheimischen. Sie zerschlugen die Fensterscheiben und nahmen die Waren mit.

Olga. Wir hatten Angst, dass sie zuerst die Geschäfte plündern und dann in die Häuser gehen würden, und wir haben zwei Kinder, keine Waffen, die Bewachungsmannschaft rückt nicht aus. Wir bezahlen einen „Leader“ (Sicherheitsdienst), aber der rote Knopf funktioniert nicht. Man fühlt sich vollkommen schutzlos. Man muss seinen Kindern erklären, dass sie sich gegebenenfalls im Zimmer verstecken müssen und es nicht verlassen dürfen. Und wir müssen unseren Nachbarn anrufen, der eine Waffe besitzt. Aber es ist sehr schwierig, so etwas einem sieben- und dreijährigen Kind zu erklären – eigentlich ist es unmöglich.

Denis. Wir fanden nur einen Feuerlöscher und einen Spaten – und begannen eine tüchtige Verteidigungslinie aufzubauen – von der Tür bis zum Schlafzimmer.

Olga. Wir füllten Kübel mit Wasser, um sie hinunterzuwerfen, wenn sie unten hereinkommen würden. Aber das sieht jetzt wie „Kevin allein zu Haus“ aus. Doch damals war es schrecklich – du bist ungeschützt und kannst niemanden rufen.

Die Folgen des russischen Beschusses des Zentrums von Cherson
Quelle: Staatliche Verwaltung der Oblast Cherson
Sie hatten alles mitgenommen, es war nichts mehr da… für die Kinder gab es nichts zu essen – das war wirklich schrecklich
Denis. Nichtsdestoweniger öffnete ich am 3. März das Geschäft und stellte mich selbst hinter den Ladentisch. Es stürzte eine riesige Menge herein, aber nach und nach gelang es, ein mehr oder weniger normales Arbeiten durchzusetzen. Wir wohnen im Stadtzentrum und unser Geschäft ist auch dort, die russischen Kontrollpunkte standen damals nur am Ausgang von Cherson. In der Stadt selbst erschienen Kontrollpunkte erst viel später – das ist einer der Gründe, die die Evakuierungen hervorriefen – es wurde schwierig, sich ohne Kontrolluntersuchungen zu bewegen.

Olga. Die Stadt war abgeschnitten, es gab weder Medikamente, noch Lebensmittel. Denis begann die Niederlassungen abzufahren und sah, dass nichts mehr da war – keine Lebensmittel und sie werden nicht importiert. Der März war sehr kalt, das Gemüse war hin, die Milch auch, die Preise stiegen ins Unermessliche. Das Fleisch kostete 600 – 800 Hrywnja pro Kilogramm statt 100, wie üblich. Insgesamt wurde alles acht- bis zehnmal teurer, es herrschte Panik und dabei wurde trotzdem alles mitgenommen. Es war ganz schrecklich und wie weiter? Es gab kein Brot mehr. Wir hatten es nie besonders gern gegessen, aber jetzt waren wir ganz wild darauf.

Wir verkauften Produkte für Menschen mit Lebensmittelunverträglichkeiten – so zum Beispiel gluten- und laktosefreie Nahrungsmittel. Sie wurden von vielen für die Kinder gekauft – die Kunden kommen, aber wir haben nichts. Sie hatten alles mitgenommen, es war nichts mehr da… Für die Kinder gab es nichts zu essen – das war wirklich schrecklich.

Es war unmöglich, alle in das Geschäft hereinzulassen, sie hätten einander erdrückt. Es ist furchtbar, wenn die Menschen auf der Straße stehen und du ihnen nichts verkaufen kannst. Wir mussten einteilen – ein halbes Kilogramm pro Person. Die Leute baten – geben sie etwas mehr, wir haben Kinder zu Hause, aber du kannst es nicht, hinter ihnen stehen auch Menschen. Wahnsinnig schwer wurde all das wahrgenommen, ein irgendwie anhaltender, drückender, grauer, kalter, klebriger Zustand.

Das Verhalten gegenüber dem Tod änderte sich

Denis. Es gab keine Medikamente. Einige Bekannte starben an Krankheiten und dem Fehlen von entsprechenden Medikamenten, manchmal kam es zu einem Herzstillstand. Hin und wieder heißt es – er starb durch Stress. Außerdem war es im ersten Monat verboten, die Toten zu beerdigen.

Olga. Der Friedhof befindet sich außerhalb der Stadt. Am ersten Tag der Besatzung fuhr ein Leichenwagen nach dort und wurde von den Russen beschossen. Danach wollte niemand mehr dorthin fahren. Die Särge waren geschlossen und die Russen befürchteten, dass etwas passieren würde und das führte dazu, dass Beerdigungen im ersten Monat verboten waren.

Denis. Dabei hieß es in den Nachrichten ständig: „Cherson – das ist Ukraine“. Du gehst auf die Straße und siehst, dass es nicht so ist. Die Stadt ist abgeschnitten, es gibt keine grünen Korridore. Nach einer Woche kamen Gerüchte auf, dass sich einige über das Feld durchgeschlagen haben, durch Stanislaw, aber nicht alle kamen an. Wenn einer durchkam – ein Prachtkerl, wenn nicht – Pech gehabt. Das Verhalten gegenüber dem Tod hatte sich verändert. Nun, er ist gestorben. Bedauerlicherweise. Er wurde gesprengt. Sie beschossen drei Autos. So etwas kommt vor.

Das Verhalten gegenüber dem Tod hatte sich verändert. Nun, er ist gestorben. Bedauerlicherweise. Er wurde gesprengt. Sie beschossen drei Autos. So etwas kommt vor
Olga. Ein Gefühl, als wenn sie dich herauswarfen. Als sich Wege für eine Evakuierung ankündigten, begannen die Russen sich hinter den Flüchtlingskolonnen zu verstecken. Als sich die Kolonnen formierten, öffneten sie den Weg für die Zivilautos und fuhren mit ihrer Kriegstechnik neben ihnen, damit die Ukrainischen Streitkräfte nicht auf die Kolonne schießen konnten.

Denis. Aber sie schossen trotzdem.

Olga. Seit Mitte März begannen die Menschen auf Proteste und Demonstrationen für die Ukraine zu gehen. In der ersten Zeit reagierten die Russen nicht. Es entstand der Eindruck, dass das nicht lange andauern würde. Eine Art Tauwetter begann, der Handel belebte sich, es kamen Autos mit Gemüse aus der Region. Die Preise blieben astronomisch – Shampoo für 700 Hrywnja, Bier für 80. Es kam eine Fälschung von der Krim – man nehme „Poljana krasowa“ – man sieht das Klebeetikett, der Salzgehalt stimmt nicht, man kann es nicht trinken.

Zudem waren alle ukrainischen Geschäfte geschlossen. Geblieben waren einige örtliche Netze, die zentral mit Lebensmitteln beliefert wurden. Alles andere wurde wie in den 1990iger Jahren verkauft. Die Märkte verwandelten sich in eine große Straße, wo man alles kaufen konnte – Wodka zum Abfüllen, Kognak (auch zum Abfüllen). Möglicherweise gefällt das einigen, man kann sich an die Jugend erinnern. In Wirklichkeit versetzten sie dich 30 Jahre zurück und du musst dich damit abfinden.

Was das „Tauwetter“ betrifft, so endete das im April. Danach begannen sie, die Menschen verschwinden zu lassen. Sie luden sie zu einem Gespräch ein und dann…

Die Mitglieder des russischen Innengeheimdienstes arbeiteten sehr strikt

Denis. Ein paar Wochen sammelten sie Informationen – schauten sich die auffälligsten genau an und kamen dann nachts und holten die Aktivisten. Und diese wurden nie mehr gesehen. Das nächste Mal kamen zu den Versammlungen weniger Menschen. Wieder nahmen sie alle Aktivisten fest. Nein, auf den Straßen wurde niemand getötet.

Olga. Die russischen Geheimdienstler arbeiteten sehr strikt. Auf den öffentlichen Plätzen richteten sie niemanden hin, aber im Verlauf von zwei Monaten tauchten in verschiedenen Gruppen immer wieder Nachrichten auf: einer ist umgekommen, einer verschwunden, einer verließ sein Haus und kam nicht zurück. Dann hörte das auf.

Eines Tages wandte sich eine Bekannte an meinen Vater (er ist Direktor eines Wohltätigkeitsvereins) und bat ihn um Hilfe. Sie hatten ihren Sohn geholt und sie hatte nichts mehr von ihm gehört. Papa versuchte etwas in Erfahrung zu bringen, dann kam eine SMS von dem Sohn: Mit mir ist alles in Ordnung. Aber er selbst trat seitdem nicht in Erscheinung. Doch eine Woche später (in den ersten 10 Tagen im April) begannen sie mit meinem Vater zu reden, versuchten ihn zur Mitarbeit zu bewegen und wollten wissen, wie es seinen Kindern gehe. Es war klar, was weiter geschehen würde, deswegen packten wir unsere Sachen und fuhren am nächsten Tag fort.

Mein Vater wurde genötigt, mit uns zu fahren, obwohl er das absolut nicht wollte, aber das ist eine vernünftige Alternative zum Keller. Ihm war schon früher empfohlen worden fortzufahren, aber er wollte die Leute nicht ohne Hilfe lassen. So oder so, jetzt sind wir in Deutschland, er aber in Odessa, wo er sich mit allen Kräften bemüht, den Juden beizustehen, die in Cherson geblieben sind.

Regionales klinisches Kinderkrankenhaus von Cherson nach dem Beschuss am 1. Januar 2023
Quelle: Staatlicher Dienst für Notfallsituationen der Ukraine
Eine Woche später begannen sie mit meinem Vater zu reden, versuchten ihn zur Mitarbeit zu bewegen und wollten wissen, wie es seinen Kindern gehe. Es war klar, was weiter geschehen würde, deswegen packten wir unsere Sachen und fuhren am nächsten Tag fort
Denis. Wer konnte, der fuhr weg, aber bei weitem bestand diese Möglichkeit nicht für jeden. Für den Weg waren mindestens fünf mal 24 Stunden erforderlich. Die Menschen starben einfach. Und dann- wohin fahren? In Europa ist es nicht einfach und auch in der Ukraine ist es schwierig, sein Auskommen zu finden.
Die Situation änderte sich jede Woche. Wir fuhren durch Snegirewka und Baschtanka – alle Hauptstraßen waren schon vermint, man musste Umwege über die Felder fahren. Nach jedem Kilometer kommt ein Kontrollpunkt – wir passierten 26, dann folgten die graue Zone und noch ungefähr 20 Kontrollpunkte der Ukrainischen Streitkräfte. Aber nicht nur die Kontrollpunkte waren das Problem, es gab praktisch keine Straßen – einige Autos verloren ihre Räder, sie lagen am Wegrand.

Normalerweise braucht man, um von Cherson nach Odessa zu kommen, drei Stunden, wir fuhren 14 Stunden. Gott möge uns vor einer Panne bewahren – wir würden dann mitten im Feld steckenbleiben.

Olga. Wir fuhren mit den Kindern. Denis öffnete den Kofferraum, sofort fiel ein Topf heraus, alles wurde klar. Wer ein cooleres Auto hat, wird durchgeschüttelt und es fordert seinen Tribut wird eingesammelt.

Wir fuhren nach Odessa für 2 – 3 Wochen

Denis. Wir hatten Glück. Aber viele gerieten unter Beschuss, die Autos verbrannten, die Menschen starben, es kam vor, dass sie auf Scharfschützen trafen. Eine Kolonne fuhr durch Davidow Brod – 30 Menschen kamen zu Tode. Eine Granate – und das war es. Die Korridore waren alle nicht offiziell – irgendein Freiwilliger hat eine Lücke gefunden und teilt sie als Reiseroute mit. Im Laufe einer Woche fahren Tausende Autos über diesen Weg. Doch dann plötzlich schließen sie die Lücke. Eine neue wird gefunden, und so geht es immer weiter.

Haben wir Umgang mit unseren Freunden in Russland? Mit jenen, die bereits 2014 sagten, dass die Krim ihnen gehöre, haben wir schon damals unsere Beziehung beendet.

Olga. Meine Mutter hatte eine Studienfreundin. Sie hatten sich aus den Augen verloren, aber nach vielen Jahren fanden sie sich dank der Sendung „Warte auf mich“ wieder. Vor 11 Jahren haben wir sie in Petersburg besucht, aber nach der Krim-Sache sagte sie unverblümt ihre Meinung und ihre Verbindung war damit beendet. Nach dem Krieg hat sie meine Mutter nicht einmal angerufen…

Meine Mutter hat einen Klassenkameraden, der nach Moskau zog. Sie sah nach seiner Mutter, man kann sagen, sie befreundeten sich. Mit dem Beginn des Krieges rief er auch nicht mehr an – für meine Mutter war das sehr traurig.

Der Fernsehturm von Cherson wurde von der russischen Armee beim Rückzug aus der Stadt gesprengt
Quelle: Polizei der Oblast Cherson
Eine Kolonne fuhr durch Davidow Brod – 30 Menschen kamen zu Tode. Eine Granate – und das war es
Denis. Früher lagen uns die Krim und Donbas nicht sehr am Herzen, aber wenn einen das persönlich betrifft…

Olga. Ich fuhr gerade damals nach Kiew, als zu dieser Zeit viele Donezker in der Stadt waren. Man ging ihnen aus dem Wege – das war deutlich zu sehen und unangenehm.

Denis. Kiew war damals der Meinung, dass Donezk selbst schuld sei, ich fürchte, sie sagen nun dasselbe von Cherson. Euer Rock war kurz, deshalb haben sie euch vergewaltigt. Oder weil ihr Russisch gesprochen habt. Obwohl ganz Kiew Russisch spricht.

Olga. Da siehst du in Cherson die ukrainischen Nachrichten und merkst, dass sie überhaupt nicht die Wirklichkeit wiedergeben. Selbst jetzt (im September 2022) schreiben sie, dass die Antonowski-Brücke gesprengt sei. Aber sie ist nicht gesprengt. Sie ist zwar beschädigt, aber Autos können darüber fahren. In Cherson und in Kachowka war am Tag, als der Krieg begann, kein einziges Polizeiauto geblieben. Ebenso keine Ukrainischen Streitkräfte. Aber die Unseren berichten von einer heldenmütigen Verteidigung. In solchen Momenten ist es einem schrecklich und schmerzvoll, weil man nicht verstehen kann, warum es so ablief.

Woher kommen die berühmten 2 bis 3 Wochen von Arestowytsch? Er sagte bereits im April – 2 bis 3 Wochen und Cherson ist befreit. Wir fuhren für 2 bis 3 Wochen nach Odessa und wollten im Mai zurückkehren. Dann im Juli, im August, aber jetzt glaubt niemand mehr daran.

Es wird einem sehr traurig zumute, wenn man sich erinnert, was mit Donbas geschah. Und Kiew sagt auch hier genauso, sie seien selber schuld. „Alle die wollten, fuhren weg!“ Und die blieben, unterstützen die Besatzer. Aber sie unterstützten sie nicht, wir unterstützen sie nicht!

Haben wir uns so lange von der UDSSR losgerissen, um in die Sowjetunion zurückzukehren?

Denis. Wenn man kein eigenes Auto besaß, musste man ein Ticket für ein Transportunternehmen kaufen – 300 Dollar pro Person mit minimalem Gepäck. Für eine Familie 1200 Dollar, die hat nicht jeder. Man konnte nichts verkaufen. Und dann braucht man auch noch Geld, und zwar nicht wenig, um sich am neuen Ort einzurichten. Derjenige, der noch zusätzliche fünftausend Dollar besaß, fuhr weg.

Olga. Alles, was du hattest, blieb dort. Und wir haben bis jetzt nicht einmal die Möglichkeit zu schauen, was dort vor sich geht. Dort sind nun Russen mit Maschinengewehren und in Panzern. Ja, und wozu auch? Damit die Kinder in einer russischen Schule unterrichtet werden, die vom Bologna-System ausgeschlossen wurde?

Denis. Es ist verständlich, dass Menschen auch in Donezk wohnen, doch dort gibt es keine Zukunft. Aber der russische Pass ist überhaupt zu einem schwarzen Kennzeichen geworden und sie zwingen uns, einen Pass der Russischen Föderation zu nehmen. Haben wir uns so lange von der UDSSR losgerissen, um jetzt in die Russische Föderation zurückzukehren? Ins Lager.
Natürlich gibt es auch Bekannte, die bewusst in Cherson geblieben sind. Sie wollen nicht alles nochmals von vorne beginnen. Vermögen, Geschäft – es ist schwer das zu verlassen, für das du so lange gearbeitet hast.

Olga. Sie waren niemals für Russland und haben es niemals unterstützt. Aber, wie meine Lehrerin schrieb, als unsere Streitkräfte begannen die Brücke zu bombardieren: „Jetzt leben alle in der Hoffnung, das die Aufhebung der Besatzung für uns alle nicht mörderisch sein wird.“

Wir haben in Deutschland drei Wochen in einem Flüchtlingslager verbracht und einige haben das nicht ausgehalten – ich kenne eine Familie, die nach Mariupol zurückgekehrt ist! Jeder durchlebt das auf seine Weise.

Vertreter der militärisch-zivilen Verwaltung der Besatzungsmacht Cherson in Genitschesk, der neuen, von Russland kontrollierten provisorischen Hauptstadt der "Oblast Cherson".
Quelle: Wikipedia
Anstatt eines Nachworts. Februar 2023

Olga. Ich habe vor Freude geweint, als im November Cherson befreit wurde. Es kam sogar die Hoffnung auf, nach Hause zurückkehren zu können, doch jeden Tag zerstören die Russen diese Hoffnung durch Bombardierungen. Seit dem Augenblick der Befreiung verließen die noch dort verbliebenen Bekannten Cherson. Die Stadt ist befreit, aber zur Zeit ist es nicht möglich, dort zu leben (laut den Berichten des britischen Geheimdienstes ist im Februar 2023 Cherson die am stärksten beschossene Stadt der Ukraine außerhalb des Donbass).
Der Augenzeugenbericht wurde am 26. August 2022 aufgezeichnet

Übersetzung: Dr. Dorothea Kollenbach