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MAriupol
Mein Mann ging, um meine Mutter aus einem anderen Bezirk zu holen – vier Tage später wurde sein Körper gefunden
Ljubow Gubenko, Restaurantleiterin
Ich könnte weinen, achtet nicht darauf…
Am 24. Februar wurden wir von Detonationen wach – zuerst schenkten wir ihnen keine große Aufmerksamkeit, wir dachten, sie würden ein bisschen Unruhe stiften. Und als starker Beschuss einsetzte, war es zu spät um wegzufahren.

Dann siedelten wir in das Haus der Schwiegermutter über – das hatte einen guten Keller. 22 Menschen hielten sich dort vom 1. bis zum 15. März auf – Verwandte, Freunde, Kollegen. Freunde brachten meine Mutter her – sie ist 89 Jahre alt. Ihr Haus wurde bombardiert, sie saß im Тreppenaufgang, hatte fast drei Tage nicht gegessen und nur laut geweint.

Unser Stadtviertel existiert nicht mehr – sie haben es ausgelöscht

Das Schrecklichste war nicht einmal der Beschuss, sondern die Fliegerangriffe. Unsere Männer gingen ins Stadtzentrum, um Lebensmittel zu holen, aber an diesem Tag wurde die Entbindungsklinik bombardiert. Sie fielen auf den Boden und als es zu Ende war, gingen sie zu unserem Restaurant „Satt-Betrunken“ – dort war nur noch Müll. Im Stadtzentrum war ein riesiger Bombentrichter – daneben drei neunstöckige Häuser, das Krankenhaus und unser Café – es war wie mit Asche bestreut.

Ljubow mit meinem Mann und meinem Sohn
Es gelang ihnen, etwas Proviant aus dem Restaurant zu holen, auf dem Markt kauften sie Konserven und Schmalzfleisch, ein Sack mit Kartoffeln war noch geblieben. Aber das Kochen war ein Problem, weil wir ohne Licht, Wasser und Gas dasaßen. Wir sägten Bäume ab und verwendeten sie als Brennholz. Es schneite und regnete – wir sammelten dieses Wasser.

Es war sehr kalt, so dass wir Matratzen und Decken hinwarfen und in Kleidern schliefen. Die Kinder ertrugen alles standhaft, nur einmal – etwa am 10. März – brach mein Sohn, er ist dreizehn, in Tränen aus: „Mamilein, ich kann nicht mehr.“ Ich redete ihm gut zu: „Söhnchen, wir müssen es aushalten.“ Er nahm sich zusammen. Die Kinder brachen nicht in Hysteries aus, sie zeichneten, spielten und unser Neffe, der akademischen Gesang studierte, sang für sie und lenkte sie ab. Einige von uns erlitten Panikattacken, als ob sie verrückt würden. Mir passierte das am 6. März – es war dunkel, schrecklich, ich beginne nach Luft zu ringen, das Herz will mir aus der Brust springen, ich versuche zu schreien, habe die Kontrolle über mich verloren. Dieser Zustand hält einige Minuten an, dann schaffe ich es, mich zu überreden, dass alles vorübergehen wird. Obwohl alles wirklich sehr schrecklich ist…

Unser Stadtviertel existiert nicht mehr – sie haben es ausgelöscht. Und nicht nur unseres. Die 17. Wohnsiedlung wurde stark bombardiert und dort wohnt meine Mutter. An einem der Tage ging Ilja, das ist mein Mann, mit einem Freund zu ihr, sie wollten sie holen. Es sind vierzig Minuten zu Fuß. Der Freund kehrte zurück, aber er nicht. Nach vier Tagen fand mein Bruder seinen Körper - er begrub ihn dem Krankenhaus gegenüber, so gut er konnte (sie weint).

Nach einigen Tagen beschlossen wir wegzufahren, es war nicht genug Treibstoff da – bei jemandem ein halbvoller Tank, bei einem anderen noch weniger. Am Ausgang der Stadt stand eine Kolonne mit russischer Ausrüstung – ich hatte Angst zu fotografieren. Sie überprüften nämlich die Telefone, einige nahmen sie sogar weg und zertrümmerten sie. Ich habe eine Freundin – Doktor der Wirtschaftswissenschaften. In ihrem Mobiltelefon sahen sie ein Foto eines ihr bekannten Jungen in Kriegsuniform und begannen sie zu drangsalieren: wir stecken dich gleich in den Keller usw.

Ich fuhr mit einem gebrochenen Bein durch halb Europa

Wir fuhren auf Landstraßen durch Pestschanka, am Straßenrand sahen wir fünf ausgebrannte Autos. Auf dem Weg von Berdjansk nach Dnipro durchliefen wir 20 russische Kontrollpunkte, sie überprüften die Autos und die Papiere. Einige boten Kaugummis aus ihren Rationen an. In mir kochte es, ich hatte meinen Mann verloren, ich sage: „ Wir brauchen nichts von euch.“ Und einen fragte ich: „Weshalb seit ihr hier?“ Und er kontert: „Und was habt ihr 8 Jahre im Donbass angestellt?“ Ich begann zu schreien und fühle, dass ich mit dem Kopf gegen die Wand rennen will. Meine Schwiegermutter hält mich zurück: „Ljuba, ich bitte dich, schweig, lass uns fahren.“ Und ich schloss nur das Fenster.

Sie erfanden sich einen Feind in Form von Ukrainern und „Banderaleuten“. Meine Mutter ist Russin, sie wurde in der Oblast Brjansk geboren. Ich habe meine gesamte Kindheit in Russland bei meiner Großmutter im Dorf Skorobogataja Sloboda verbracht. Bei uns in Mariupol waren wohl bis zu 40 Prozent prorussisch. Ich selbst hätte nicht erwartet, dass sie sowas mit uns machen.

Ich habe eine Tochter – Mitarbeiterin von „Sochnut“. Am 22. Februar fuhr sie von Charkow zu einem Seminar nach Budapest, konnte aber schon nicht mehr zurückkehren. „Mama“, sagt sie, „komm zu mir.“

Aber zu allem Überfluss hatte ich mir ein Bein gebrochen. Als geschossen wurde, bin ich im Laufen gestolpert und brach mir ein Bein. Und so fuhr ich mit dem gebrochenen Bein durch halb Europa. Von Budapest fuhren wir nach Deutschland und machten in Dresden Halt. Wir mieteten eine Wohnung für 5 Monate – meine bekannten Geschäftsleute und der Rabbi aus Mariupol halfen dabei.

Eigentlich entspricht der Name „Ljubow“ (russ. - Liebe) sehr meiner Weltanschauung. Aber Sie können sich nicht vorstellen, wie es jetzt in meinem Inneren aussieht – ich hasse alles, was mit der Welt Putins und der „Russischen Welt“ verbunden ist. Wissen Sie, was man uns in Deutschland sagte? Geben Sie Ihren ukrainischen Pass ab, die Ukraine wird es nicht mehr geben. Sie sind selbst aus Mariupol und leben mehr als 20 Jahre in Europa.

Ich öffnete Facebook – der Mann meiner Studienfreundin schreibt, dass sie tot ist. Jede Woche ein Bekannter weniger
Dieser Krieg hat viele vernichtet. Meine Tochter hatte eine Freundin, sie hieß Karina und war 22 Jahre alt. Ich befreundete mich mit der Mutter dieses Mädchens. Einmal gingen sie in den Hof, um Essen zu kochen und sie… direkt am Hauseingang – ich konnte es nicht glauben. Ihr Mann, der seine Frau und seine einzige Tochter verloren hatte, schrie wie ein verwundetes Tier.

Ich öffnete Facebook – der Mann meiner Studienfreundin schreibt, dass sie tot ist. Jede Woche ein Bekannter weniger. Auf einmal überkommt mich Panik, dann nehme ich mich zusammen, begreife, dass ich nicht helfen kann. Ich kann kein Maschinengewehr nehmen, obwohl ich das sehr gerne tun würde.

Meine Mutter ist in Mariupol geblieben, es gibt fast keine Verbindung. Einmal habe ich sie telefonisch erreicht, sie sagt, sie sei verwundet. Sie ging jeden Tag zum Grab meines Mannes, obwohl ich sie inständig bat, das nicht zu tun. Seit zehn Tagen gibt es keine Verbindung.

Ich bin hier mit meiner Schwiegermutter und der Schwester meines Mannes. Der Schwiegermutter geht es nicht sehr gut, sie hat einen Stent, es ist natürlich schwer…

Statt einem Nachwort. November 2022.

Meine Schwiegermutter und Ana (das ist ihre Tochter, die Schwester meines Mannes) mieteten eine kleine Wohnung in Dresden, die Gesundheit der alten Frau hat nachgelassen, sie kann nur mühsam gehen. Aber ich bin in Polen – ich habe dort Bekannte und dann ist die Sprache auch einfacher für mich. Ich habe auch an Israel gedacht, aber viele Dokumente sind verloren gegangen. Außerdem wollte meine Tochter nicht fahren, sie muss die Universität absolvieren und ist jetzt in Lwow – verhältnismäßig nicht zu weit entfernt.

Meine Mutter ist noch immer in Mariupol. Dort ist bis heute keine Heizung und wir haben schon November. Gas gibt es auch nicht, aber die neue Regierung hat Fenster eingesetzt – billigste Sorte. In der Stadt herrscht Zerstörung, sie telefoniert und weint andauernd: ich werde euch niemals wiedersehen...
Mein Bein brauchte sehr lange um zu heilen, erst im September wurde der Gips entfernt. Mein Sohn ist auch in Behandlung – er ist behindert, wächst nicht und hat Probleme mit der Wirbelsäule.

Meine Mutter ist noch immer in Mariupol. Dort ist bis heute keine Heizung und wir haben schon November. Gas gibt es auch nicht, aber die neue Regierung hat Fenster eingesetzt – billigste Sorte. In der Stadt herrscht Zerstörung, sie telefoniert und weint andauernd: ich werde euch niemals wiedersehen usw. Man hat gerade so eine Internetverbindung eingerichtet und jetzt telefonieren wir wenigstens.

Rationen werden ausgegeben, für kostenloses Brot muss man anstehen. Die Preise sind stark angestiegen – ein Bekannter hat sich als Spediteur niedergelassen, schaut sich die Ladezettel an und sieht, dass die Preise jede Woche steigen. An Kraftstoff mangelt es und auch mit Wasser gibt es Probleme.

Es ist zwar so, dass meine Mutter jetzt zwei Renten bekommt – eine ukrainische und eine russische. Bis Oktober kochte sie auf Feuer, aber mein Bruder kaufte vor kurzem eine Gasflasche, mehrere Herde werden elektrisch. Meine Mutter hatte auch einen Herd, aber die Sicherungen springen heraus… So kochen die Leute aus den Nachbarhäusern auf der Straße, es ist völlig unklar, wie sie über den Winter kommen werden.

Meine Mutter hat den vierten Schlaganfall hinter sich, sie selbst kann nicht zu uns fahren, aber ob man mich nach Mariupol lässt – daran bestehen Zweifel angesichts meines proukrainischen Facebook-Profils.

Bis heute wache ich nachts voll Angst auf

Alle, mit denen wir zusammen im Keller gesessen haben, sind ausgeflogen. Meine beste Freundin ging nach Israel mit ihren Eltern, eine andere Freundin ist mit ihrer Familie in Kiew – sie sitzen den halben Tag ohne Licht. Eine Familie begab sich zuerst nach Budapest und ist jetzt in der Slowakei. Es gibt auch Freunde, die nach Deutschland, Österreich und die Schweiz gegangen sind.

Eine Freundin aus der Kindheit – Alena – rief mich an, das Haus ihrer Schwester war bombardiert worden – sie war bei lebendigem Leibe verbrannt und ihr Mann sprang aus der 7. Etage und verstarb
Einige sind auch in Mariupol geblieben – zum Beispiel unser Chefkoch. Er fuhr zunächst in die Krim, aber dort gab es nur Saison-Arbeit und die Preise waren verrückt. Er kehrte nach Mariupol zurück – er gibt zu, dass er wohl gewusst habe, dass es alles schlecht sei, aber dermaßen… Ein Gespenst von einer Stadt, wenn du ein intaktes Haus siehst, wunderst du dich, weil du den ganzen Tag über durch Ruinen gehst. Ihn traf ein Fliegerangriff, im Dach war ein Loch. Zum Glück hatten ihm Nachbarn die Schlüssel ihrer Wohnung im nächsten Eingang gegeben.

Er bekam ein Kind, wollte eine Kaffeebar eröffnen und etwas verdienen. Er ist ein sehr guter Koch. Aber die Miete war unverschämt hoch, so dass er keine Chance hatte… Die Menschen sind depressiv, sogar die jungen. In Mariupol gibt es keine Arbeit außer auf dem Bau, da ging meine Schwiegertochter, um für sie Essen zu kochen, was soll man machen?

Wir hatten ein normales Leben, arbeitete, trafen uns ständig mit Freunden, machten Pläne. Alles war in einem Augenblick zu Ende.

Bis heute wache ich nachts voll Angst auf. Im Laufe der Zeit kann man schon ein Martyrologium verfassen. Katja verlor ihren Stiefvater, ihre Mutter und einen Onkel – direkter Treffer einer Granate. Eine Freundin aus der Kindheit – Alena – rief mich an, das Haus ihrer Schwester war bombardiert worden – sie war bei lebendigem Leibe verbrannt und ihr Mann sprang aus der 7. Etage und verstarb. Viktor – das ist der Barmann aus dem Restaurant, das ich leitete, erlitt eine Prellung, ertaubte auf einem Ohr, auf dem er bis jetzt nicht hören kann.

Alexei, der mit uns im Keller lebte, erduldete eine Quetschung und Dima zersplitterten die Ferse und der Ellenbogen und zudem hatte sie Brandwunden am Hals. Als sie schon in Deutschland war, entdeckten die Ärzte einen Splitter, sie vermuten eine Phosphor-Verbrennung.

Die Zeugenaussage wurde am 5. April 2022 aufgezeichnet

Übersetzung: Dr. Dorothea Kollenbach