Niemand konnte sich das Ausmaß der Katastrophe vorstellen
Am 25. kam ein Freund aus Kiew – Witalij –, um mich und meine Mama aus Mariupol zu holen. Getrennt von uns wohnten meine 86jährige Tante, die den Holocaust überlebt hatte, mit ihrem 93jährigen Ehemann, einem Überlebenden der Blockade von Leningrad. Am 28. Februar holten wir sie zu uns in unser Einfamilienhaus im Zentrum der Stadt. Zu dieser Zeit war es bereits sehr schwierig, sie zu besuchen. Mariupol stand schon unter ständigem Beschuss, die ganze Straße war aufgerissen und voller Bodentrichter von den Einschlägen, verhedderte Kabel lagen herum und Granatensplitter, und falls das Auto beschädigt würde, hätten wir die letzte Chance für eine Evakuierung vertan. Warum wir nicht sofort gefahren sind? Ich konnte meinen Sohn Mark nicht zurücklassen, der im Kombinat „Asow-Stahl“ arbeitete. Ich dachte, wenn wir in dieser Hölle überlebten, würde der Allmächtige uns irgendwie leiten. (Mark verbrachte mehr als sechs Monate in russischer Gefangenschaft auf dem Territorium der sogenannten Donezk Republik und wurde kürzlich im Rahmen eines Austauschs freigelassen – Anm. d. Red.).