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Mariupol
Ein Körper ohne Arme, Beine und Kopf lag da wie Abfall auf dem Weg
Darja Baek, Hausfrau, israelische Staatsbürgerin
Darja mit ihrer Tochter

Foto mit freundlicher Genehmigung von Darja Baek
Ich bin in Mariupol geboren, lebe seit 11 Jahren in Israel und bekam vor kurzem eine Tochter. Am 25. Januar fuhr ich in meine Heimatstadt, um meinen Eltern ihre Enkelin zu zeigen. Am 24. um 5.30 morgens rief mich mein Mann aus Israel an und sagte: „Nimm die Kleine und fahre zu meiner Mama nach Brazlaw“ (Faina Baek, Leiterin der jüdischen Gemeinde Brazlaw. Anmerkung der Redaktion). Aber wie sollte man quer durch die ganze Ukraine fahren, wenn Krieg war?

Am selben Tag begann der Beschuss, heulten Sirenen, erschienen BM 21- Raketenwerfermaschinen, eine sehr starke Explosion dröhnte – sie bombardierten die Landebahn des Flughafens. Mama fuhr zu meiner Schwester und meinem Bruder, um die ganze Familie an einem Ort zu versammeln. Während ich alleine war, versteckte ich mich im Badezimmer. Ich hörte wie ein Panzer das Feuer erwiderte…

Darjas Tochter. Ihr erstes Geschenk im Haus der Eltern in Mariupol.
Foto mit freundlicher Genehmigung von Darja Baek
Schauspielhaus von Mariupol, Anfang 2022. Am 16. März 2022 wurde das Theater von russischen Truppen bombardiert, wobei Hunderte von Zivilisten getötet wurden.
Foto mit freundlicher Genehmigung von Darja Baek
Versteckt im Keller.
Foto mit freundlicher Genehmigung von Darja Baek
Versteckt im Keller

Foto mit freundlicher Genehmigung von Darja Baek
Alkohol und Zigaretten wurden zur einzigen Währung

Wir wohnten in der Nähe des Ilica- Werks – das ist eine ruhige Gegend, der aber nicht weit vom Zentrum entfernt ist. Tagtäglich wurde die Situation schlechter, das Nachbarhaus wurde von einem Panzer über den Haufen geschossen. In der ersten Woche gingen wir noch aus dem Keller in die Wohnung hoch, aber dann begaben sich alle in den Luftschutzraum. Dort lebten mehr als 50 Leute, es waren drei große Säle, es kamen auch Menschen aus anderen Häusern. Mein Bruder nahm die Batterie aus seinem Auto und sorgte überall für Elektrizität, irgendwie schafften sie das.

Sofort begannen wir uns mit Essen zu versorgen, Mama hatte ein kleines Lebensmittelgeschäft – das war auch eine Hilfe. Am nächsten Tag begann die Plünderei und einige Tage später war nichts mehr da. Irgendwann verlor das Geld seinen Wert und Alkohol und Zigaretten wurden zur einzigen Währung.

In unserem Keller litt niemand Hunger – wir teilten alles brüderlich. Schon bald wurden Wasser, Verbindung, Licht und Gas abgestellt. Wir sparten Wasser, aber das war schwierig – Essen musste gekocht werden, man musste trinken, den Kindern den Popo waschen. Wir waren mit den Kindern neun Menschen – die Schwester hatte eine Familie, der Bruder ebenso. Allein für den Topf Suppe und Brei gingen am Tag 14 Liter Wasser drauf. Papa hatte ein großes Aquarium mit 70 Litern Wasser, der Fisch starb, aber wir bekamen das Wasser.

Außerdem wurden aus dem Boiler zu Hause noch 90 Liter entleert. Und wir stellten auch Eimer auf – wir sammelten Regenwasser.
In 25 Minuten Fußweg war ein Park. Dort wurden sammelten Menschen Feuerholz, aber unter Beschuss. Einige Bekannte gingen dorthin und kehrten nicht zurück. Wir mussten zum Glück nur einmal dorthin gehen.

Kaum hatte man das Gas abgestellt, als die Leute losgingen, um Bäume zu fällen und irgendwelches Brennholz zu suchen. Sie kochten auf dem Feuer. Früh am Morgen gingen sie hinaus und kochten für den ganzen Tag – und über ihren Köpfen flogen Geschosse. Ich stillte mein Kind und hatte schon begonnen, ihm Beikost zu geben, so dass es dasselbe aß wie wir – es gab nichts anderes.

Darja mit ihrer Großmutter, die später an einem Herzinfarkt starb und im Garten begraben wurde. Das Foto wurde in ihrer Wohnung aufgenommen.

Foto mit freundlicher Genehmigung von Darja Baek
Nachbarn beerdigten unsere Großmutter im Hof

Einmal flog eine Granate aus einem Minenwerfer in unseren Hof, ein Nachbar wurde getötet – er lag auf der Straße. Noch gut, dass es kalt war. Die Leute wurden einfach zugedeckt und an den Erdwällen zurückgelassen. Allmählich begann man die Leichen zu begraben – wenn man fortfuhr, sah man in jedem Hof einen Mini-Friedhof. Und in unserem Hof ebenso. Zur Zeit der Evakuierung war in unserem Hof ein Friedhof mit 10 Gräbern und die Leute hoben noch weitere Gruben aus. In einem anderen Bereich begruben die Nachbarn am 3. April unsere Großmutter – auf einem selbst angelegten Friedhof im Hof. Sie war an einem Herzinfarkt verstorben, aber wir konnten nicht zu ihr kommen.

Einmal verletzte ich mich am Arm und die Wunde infizierte sich. Zwei Tage danach begann die Entzündung, der Ellbogenbereich schwoll an, die Temperatur stieg – und überhaupt wurde es mit jedem Tag schlechter. Die Nachbarn brachten irgendwelche Salben – nichts half, Antibiotika waren erforderlich. Aber woher nehmen? Ein Bursche sagte, dass einige Häuser von uns entfernt ein Arzt im Keller sei, wir liefen unter dem Pfeifen von Granaten dorthin – da sah ich zum ersten Mal zerstörte Häuser.

Er sah sich meinen Arm an, verschrieb eine Behandlung mit Antibiotika zur intramuskulären Injektion. Das hieß, ich durfte nicht weiter stillen. Meine Schwester half aus – sie hatte auch einen Säugling und nährte beide. Wir gingen durch die Keller auf der Suche nach Antibiotika – nichts. Doch da gab uns ein Mann die Adresse einer Frau, die nach einer Operation da lag und Antibiotika genommen hatte. Die Eltern hatten Zigaretten und Alkohol aus ihrem Geschäft – und sie verhandelten mit den Ärzten und kauften die notwendigen Medikamente.

Ich durfte nicht weiter stillen
Zwar konnten wir zunächst nur Antibiotika für die Hälfte der erforderlichen Behandlungsdauer beschaffen und auch kein Lidocain auftreiben, was die Injektion sehr schmerzhaft machte. Die Spritzen wurden zweimal täglich verabreicht, doch dann brachte ein Bursche eine ganze Packung Ampullen – fünf Häuser weiter hatte man erfahren, dass wir auf der Suche waren. Schließlich heilte die Wunde am Arm irgendwie ab.

Bei einigen Müttern versiegte die Milch. Viele kamen zu uns in den Keller und fragten nach Trockennahrung für Kinder und Säuglinge. Manchmal tauchten irgendwelche seltsamen Leute auf und tauschten alles, was sie hatten mitgehen lassen, gegen Zigaretten und Alkohol Viele kamen um. Bei meiner Bekannten wurde der sechsjährige Sohn getötet, bei einer anderen Familie ein anderthalbjähriger Junge durch einen Splitter. In unserem Keller saß ein Junge mit gebrochenen Beinen – sie waren aus Sartana (seit März 2022 unter der Kontrolle der Volksrepublik Donezk) gekommen.

Die Explosionen waren wie in Hollywood-Actionfilmen

Am schrecklichsten war, wenn Stille eintrat – danach erfolgte sehr starker Beschuss. Wenn es ruhig wurde, führten die Leute ihre Kinder spazieren. Einmal war ein sonniger, nicht windiger Tag, alle nutzten das aus. Ein Nachbar kochte auf einer Feuerstelle und seine Kinder im Alter von fünf und sieben Jahren spielten in der Nähe. Es gab eine starke Explosion, ihm wurde der Kopf abgerissen, die Kinder überlebten, aber eines ohne Arme, das andere ohne Beine. Zu der Zeit wurde das Krankenhaus noch nicht bombardiert, sie wurden dorthin gebracht, was weiter mit ihnen geschah, weiß ich nicht.

Am schrecklichsten war, wenn Stille eintrat – danach erfolgte sehr starker Beschuss
Es gab Explosionen… wie in Hollywood-Actionfilmen. Manchmal war dichter Rauch von den Bränden, alles brannte. Doch einmal kam ein Flugzeug, bombardierte die Stadt, die Dreckskerle… und warf etwas Schreckliches ab. Dort standen drei Etagen hohe Häuser – die Erde flog zweimal so hoch wie diese Häuser waren. Als mein Vater unsere Großmutter besuchen ging, kam er durch diesen Bereich – er sagte, dort sei ein Krater von 8 mal 4 Metern.

Es gab keine Kommunikation, nur Gerüchte. Die einzige Quelle für „offizielle“ Information war der Funkanschluss – es wurde ein und dasselbe gesagt, und diese Phrase wurde ständig wiederholt, ich berichte dem Text gemäß: „Wir, die Befreier, sind gekommen, um euch zu beschützen und zu retten.“ Dann empfahlen sie den Soldaten der Ukrainischen Streitkräfte sich zu ergeben, das Magazin aus den Maschinenpistolen zu nehmen, das Gewehr über die linke Schulter zu hängen, eine weiße Fahne zu nehmen und in eine bestimmte Richtung zu gehen. „Ihr werdet am Leben bleiben, euch wird ermöglicht, euch mit euren Familien in Verbindung zu setzen und ihr werdet nach Beendigung der Kriegshandlungen nach Hause zurückkehren.“ Und danach kam ein Aufruf mit stark südlichem Akzent, schon härter: „Ergebt euch! Wir sind in dieses Land gekommen, um die Feinde zu töten.“ Und sie wechselten einander. Außerdem berichteten sie von den Erfolgen der Russen an den Fronten und im Keller sitzend, entstand bei uns der Eindruck, dass bereits ein großer Teil der Ukraine erobert sei. Wenn du dies monatelang hörst, glaubst du, dass eine Evakuierung durch die Ukraine unmöglich ist. Wohin, wenn alles besetzt ist?

Meine Freunde hatten die Nummer 3000 in der Kontroll-Warteschlange, sie wollten absolut nicht nach Russland, aber man ließ sie nicht in die Ukraine gehen – sie sind jetzt auf dem Weg nach Irland.

Der einzige Weg für eine Evakuierung ging durch Russland

Wir gingen am 24. März. Zu dieser Zeit war ein bedeutender Teil der Stadt bereits von den Russen eingenommen, weswegen der einzige Weg durch Russland führte. Wir hatten drei Autos, die alle heil geblieben waren – sogar die Fenster, das ist ein besonderer Luxus für Mariupol. Allerdings hat mein Bruder sein Auto stehen lassen. Wir sind selbst mit Mühe herausgekommen, obwohl die Entscheidung nicht leicht war – wir kannten Menschen, die wegfuhren und umkamen…

Die Stadt zu verlassen, ist überhaupt ein riesiges Problem. Denn Mariupol ist eine Stadt der Brücken. Um an die Stadtgrenze zu gelangen, mussten wir vier Brücken überqueren und alle waren zerstört. Da beschlossen die Männer einmal, den Fluchtweg zu überprüfen und kamen zur ersten der beschädigten Brücken – daneben lag ein zerschossenes Auto. Aber dort war ein privater Bereich – die Leute haben die Metalltore abgenommen und sie wie eine Brücke verlegt. Es war gefährlich, aber man konnte langsam darüber fahren.

Eigentlich war die einzige Möglichkeit, über die Topolina-Straße zu fahren. Am 23. kamen Nachbarn zu uns, sie sammelten einen Konvoi um zu gehen und schlugen vor, sich uns anzuschließen.

Als wir abfuhren, gab es einen furchtbaren Beschuss – es war schrecklich, das Haus zu verlassen. Aber der Konvoi hatte sich schon aufgestellt, um 7 Uhr 30 machten wir uns auf den Weg. Um diese kleine Brücke herum lag eine große Menge kleiner Stäbchen, einen halben kleinen Finger groß, mit Gefieder, die Darting-Pfeilen (irisches Pfeilwurfspiel) ähnelten. Möglicherweise eine Füllmasse für Bomben.

Unterwegs sah ich zerstörte Häuser, einige waren nur schwarz, andere dagegen mit riesigen Löchern, gesprengte Tanks unter den Häusern. Viele Menschen gingen zu Fuß, eine lange Reihe. Wir nahmen so viele wie möglich auf.

Russische Bombardierung von Mariupol im März 2022
Foto mit freundlicher Genehmigung: Ministerium für Innere Angelegenheiten der Ukraine
Ein Körper ohne Arme, Beine und Kopf lag da wie Abfall auf dem Weg herum. Da stand ein ausgeschlachtetes Auto – weiße Lappen, eine Aufschrift „Kinder“ und blutende Menschen
Buchstäblich eine Minute Weg von dieser Brücke entfernt standen die Volksrepublik-Donezk-Leute auf einem Hügel, von dem aus man die gesamte Stadt überblicken konnte. Der Kontrollpunkt war aus verbrannten Autos und Reifen gebaut, damit die Leute sich hindurchschlängeln mussten. Da war eine riesige Menge Leichen. Natürlich hatte ich Tote auf dem Hof gesehen, aber hier lagen sie offensichtlich schon lange. Alle waren mit Staub bedeckt. Ein Körper ohne Arme, Beine und Kopf lag da wie Abfall auf dem Weg herum. Da stand ein ausgeschlachtetes Auto – weiße Lappen, eine Aufschrift „Kinder“ und blutende Menschen. Das war schrecklicher als alles, was ich bis dahin gesehen hatte. Dort stand eine Autoschlange und daneben schoss ein Panzer direkt auf die Stadt. Und ich sah, wo es explodierte.

Dachten sie wirklich, dass sie uns gerettet hätten?

Eine peinliche Durchsuchung konnte vermieden werden, indem man den Soldaten eine Flasche Schnaps und Zigaretten gab. In allen unseren Autos lag oben auf dem Gepäck diese Garnitur. Sie sprachen sehr liebenswürdig mit uns. Sie beruhigten uns sogar, hier sei es noch ruhig, es gebe keinen Beschuss. Natürlich nicht, dort gab es nichts zu zerstören. Dachten sie wirklich, dass sie uns retteten? Sie prüften unsere Papiere, die Telefone, Papa öffnete den Kofferraum, der Soldat nahm das Paket und sagte, wir könnten fahren. Bei der Schwester und dem Bruder, die hinter uns fuhren, war es genauso. Die Sachen untersuchten sie nicht. Sie fragten, wo mein Mann sei – ich sagte zu Hause. Ich zeigte nur meinen israelischen Pass, obwohl ich einen ukrainischen Pass hatte. Das spielte keine Rolle.

Bei den anderen kontrollierten sie die Autos, einige Männer mussten sich ausziehen. Wir setzten unsere Fahrt fort – wieder solche gesprengten Autos, ebenso herumliegende Leichen. Bis zum Verlassen der Stadt gab es vier solcher Kontrollposten. Bei jedem wurden die Papiere kontrolliert, sie fragten, wieso ich hier sei. Das Kind war damals 8 Monate, einige sprachen in Babysprache mit ihm… Tschetschenen habe ich in der Stadt nicht gesehen, ehrlich gesagt, es waren Russen, wenigstens in diesem Augenblick.

Bis zur russischen Grenze zählte ich mehr als 20 Kontrollposten. Bei jedem hielten wir an, überall verlangten sie die Papiere, in jedem Dorf war am Eingang und Ausgang ein Kontrollpunkt. Die Strecke änderte sich, viele Brücken waren zerstört. Viel Kriegstechnik – Panzer, Schützenpanzer. Einige repräsentative Autos waren sogar schwarz und ohne Nummern.

Ein Soldat am Kontrollpunkt warnte: Zur Toilette auf das Feld zu gehen, sollte man vergessen – alles sei vermint, am Randstreifen nicht anhalten. Als wir 20 Kilometer von der Stadt entfernt waren, sahen wir, dass direkt im Feld ein BM-21 „Grad“ Rakenwerfer steht und Mariupol trifft. Das war furchtbar.

Wir kamen zu einem Städtchen in der Volksrepublik Donezk, wo man eine Kontrolle passieren sollte. Bis zu dieser Zeit hatte ich ein Papier verwahrt (siehe Foto), das mir erlaubte, die russische Grenze zu überschreiten.

Auf der Polizei wurde uns gesagt, wir sollten eine Fotokopie der Dokumente bringen, aber wir hatten nur Griwna (ukrainische Währung) und man konnte nirgends wechseln. Es war unmöglich. Ich wollte im Geschäft Feuchttücher kaufen – um das Kind abzuwischen, Einmallöffel, um es zu füttern. Aber ich hatte keine Rubel und die Stadt war voller Flüchtlinge wie wir.

Das Leben in der Volksrepublik Donezk hatte einfach aufgehört

Die Volksrepublik Donezk ist etwas Schreckliches, das Leben ist dort einfach stehengeblieben. Es gibt kein Internet, man kann nirgends übernachten, es wird dunkel. An der Polizei ist eine riesige Schlange. Mama machte sich auf den Weg und bot Süßigkeiten für eine Fotokopie an – aber niemand ging darauf ein. Papa fand einen Mann, der bereit war, 100 Dollar in Rubel zu tauschen… Wir machten die Kopie, erhielten einen Fragebogen – jetzt mussten wir uns registrieren lassen. Welches Auto, wer fährt mit ihm, wieviel Leute, wo waren sie vorher gewesen, hatten sie den Ukrainischen Streitkräften geholfen, standen sie in Kontakt mit dem ukrainischen Militär usw. Wir stehen 4 Stunden in der Schlange, es beginnt dunkel zu werden… Ich habe eine kämpferische Mutter, sie ging zum Chef: Nehmen Sie uns an die Reihe, im Auto sitzen 3 Kinder. Mein Bruder hat eine Tochter von 9 Jahren, meine Schwester einen Jungen von einem Jahr und 9 Monaten und ich ein Baby von 8 Monaten. Kurz und gut, dieser Chef sah meine Mutter an und meinte: „Fahren Sie langsam, man wird Sie durchlassen.“

Wir fuhren weiter durch Nikolskoje, Dokutschaewsk, Dobropolje, Amwrosijewska. Nach einigen Stunden kamen wir zur russischen Grenze. Dort steht ein Häuschen, von dem aus gewarnt wird, dass man ohne Registrierung nicht passieren kann. Kehren Sie um, wird gesagt, hier ist eine Ortschaft, melden Sie sich bei der Polizeidienststelle an. Was tun, wir fuhren los – dort war überhaupt keine einzige Person, wir trafen uns, sie werden es nicht glauben, wie Verwandte. Sie behandelten uns so verständnisvoll, führten uns in die Versammlungshalle. Dort standen Betten, es gab Tee, Kaffee, Gebäck. Sie zeigten uns, wo wir uns waschen konnten. Einige interessierten sich für den Zustand in konkreten Bezirken Mariupols – sie hatten dort Verwandte, Schwestern und Brüder. Sie weinten, wir weinten ebenfalls. Sie bestimmten für jeden einen Mitarbeiter, fuhren uns zu den Büros, aber dennoch ließen sie die Männer sich auskleiden, prüften die Tätowierungen, fotografierten die Gesichter von vorne und im Profil und nahmen Fingerabdrücke. Sie scannten alle Pässe und überprüften alle Telefone.

Im Wesentlichen ging es um die Frage: wann ich angekommen war, wo meine Eltern wohnen, wo sie gemeldet sind, ihr Geburtsdatum, ihre Telefonnummern. Ein- und dasselbe für jedes Familienmitglied. Wo du wohnst, und wie du eingestellt bist – und alles wurde notiert.

Als sie den israelischen Pass sahen, riefen sie das Katastrophenschutzministerium Russlands an und teilten mit, wo ich mich befand. Und von dort kontaktierte man die Botschaft. Aber sie waren dabei wohlwollend – sie wussten sehr gut, was los war.

Wir wussten noch nicht, wo Papas Schwester sich mit ihrer Familie aufhielt, ob sie am Leben waren. Doch bei der Kontrolle der Pässe sagte ein Mitarbeiter: „Ich kenne die Familie – Kort. Ich habe sie gestern irgendwo gesehen.“ Er blättert in einem Büchlein und tatsächlich – da sind alle Verwandten von Papa, sie sind gestern weggefahren.

Niemals habe ich von jemandem gehört, dass er nach Russland will. Nicht ein einziges Mal

Endlich erhielten wir diese Papiere mit Stempel und Unterschrift. Und mit ihnen bewegten wir uns in Richtung russische Grenze. Es war etwa 9 Uhr abends, Als wir an der Reihe waren, fuhren wir zur Seite wie alle Fahrzeuge mit ukrainischen Kennzeichen. Etwa 2 Stunden saßen wir nur so da, dann holten sie die Papiere und gaben sie lange nicht zurück, dann gingen sie zu allen ukrainischen Autos und holten die Männer heraus – in unserem Fall Papa und meinen Bruder. Sie nahmen sie für ein bis zwei Stunden mit – das gleiche Verhör – sie mussten sich ausziehen, man nahm Fingerabdrücke usw.

Dann kontrollierten sie das Fahrzeug – etwa eine Stunde, und dann standen wir noch ein paar Stunden. Insgesamt dauerte es sieben Stunden, um ein Uhr nachts ließen sie uns fahren. Wir wollten ein Hotel nehmen, aber alles war übervoll und so mussten wir nachts nach Rostow fahren. Dort übernachteten wir auch und brachten uns in Ordnung. Wir wechselten Dollar – ich erinnere mich nicht mehr an den Kurs, aber wenn es in Griwna fast 2000 Dollar waren, dann bekamen wir in Rubel den Gegenwert von 700 Dollar.

Das Ziel war Georgien, niemand wollte in der russischen Föderation bleiben, das hatten wir bereits im Keller beschlossen. Viermal hat man uns in Hotels festgehalten – an der Rezeption ging es hoch her, aber wir waren nicht die einzigen, denen es so erging. Die Stadt war zerstört, es gab sie nicht mehr. Den Flüchtlingen war anzusehen, dass sie sich einen Monat lang nicht gewaschen hatten. Alles roch nach Feuer und Ruß. Alle verstanden die Situation, viele weinten, einige entschuldigten sich. Ein Vetter meiner Mama lebt in Moskau – auch er rief an und entschuldigte sich.

Folgen des Beschusses des Kinderkrankenhauses und der Geburtsklinik in Mariupol
Foto mit freundlicher Genehmigung: Army Inform
Die Stadt war zerstört, es gab sie nicht mehr. Den Flüchtlingen war anzusehen, dass sie sich einen Monat lang nicht gewaschen hatten. Alles roch nach Feuer und Ruß
Ich war in Mariupol aufgewachsen, hatte dort die Schule und die Hochschule absolviert und kehrte regelmäßig zu meiner Familie zurück. Ich ging mit 22. Niemals und von niemandem habe ich gehört, dass sie zu Russland wollten. Nicht ein einziges Mal. Besonders nach 2014, als Mariupol bombardiert wurde. Und wie viele Flüchtlinge aus Donezk waren damals da! Welch ein Russland! In Mariupol wusste man gut, was die Volksrepublik Donezk und die Volksrepublik Lugansk waren und wer dahinter steckte. Bei diesem Besuch war ich von der Stadt überwältigt – sauber, schön, modern – ich wollte hier wohnen, arbeiten, es gab Orte, an die man gehen konnte. Das war alles in der Vergangenheit.

In Nordossetien machten wir Halt, da begannen sich die Leute dem Kontrollpunkt zu nähern, schlugen uns vor, uns umzuziehen, boten Essen und Wasser an. Es gab nur einen Zwischenfall, ein Polizist hielt das Auto an, in dem mein Bruder und meine Schwester saßen, das war offensichtlich an den Haaren herbeigezogen. Nach dem was gewesen war, einfach lächerlich. Katjas Kindchen hatte das Sitzen auf dem Autositz satt, sie hatten es auf den Schoß genommen. Na, dann werden wir eben ein Bußgeld zahlen. Aber mein Bruder war nervös – er hatte sein bedeutendes Geschäft in Mariupol zurückgelassen und hier – weder eine Wohnung, noch Arbeit, er fährt irgendwohin im Auto seiner Schwester, ganz aufgeschmissen… Und jetzt verpassen sie ihm auch noch Strafgeld. „ Na, schreib schon“, sagt er. „Man hat mir sowieso schon alles genommen, schreib.“ Der Polizist lässt sich Zeit, er will Geld „Was sagst du da, gibst du uns die Schuld für alles?“ fragt er. Dann gab er ihm schweigend die Papiere zurück und ließ uns fahren.

An der Grenze versuchten sie, uns den ukrainischen Pass abzulisten

An der russisch-georgischen Grenze verbrachten wir fünf Stunden – wieder wurden die Männer befragt, beiseite geführt, und wieder dasselbe: wo sie geboren waren, was sie arbeiteten, wieder mussten sie sich ausziehen, wieder Fingerabdrücke und Kontrolle der Telefone.

Ich zeigte überall ausschließlich meinen israelischen Pass, aber hier nahm der Grenzbeamte ihn an sich.
„Wie sind Sie auf das russische Territorium geraten?“
„Was meinen Sie? Ich habe die Grenze offiziell überschritten.“
„Aber Sie haben nicht diesen Pass, sondern einen ukrainischen gezeigt.“
„Kontrollieren Sie“, sage ich, „ich habe keine anderen Pässe gezeigt. Auch das Papier über die Grenzüberschreitung hatte die Nummer des israelischen Passes.“ Ich zeigte es.
„Es wurde nicht gestempelt.“
„Dann muss ich also Ihren Grenzdienst kontrollieren?“

Da kommt Mama und fragt, was los ist. „Ich brauche ihren ukrainischen Pass, man hat es ihr nicht zum Stempeln vorgelegt“, sagt der Grenzbeamte. Mama nahm all unsere Pässe – sie wiesen auch keine Stempel auf. „Es dreht sich nicht um den Stempel, sondern um den Pass“, sagt er, „sie hat diesen Pass nicht an der Grenze vorgelegt“. Einfach lächerlich.
Ich wurde in ein Zimmer geführt, den Pass gaben sie mir nicht zurück. „Warten Sie“, sagen sie, „ und nehmen Sie Ihr Telefon mit.“ Nach 20 Minuten kommen zwei Mitarbeiter zu mir: „Und wo ist Ihr ukrainischer Pass?“
„Was für ein Pass, ich sage Ihnen doch, dass ich nur einen israelischen Pass habe.“
„Aber Sie haben doch einen ukrainischen Pass?“
„Nein.“
Der zweite tritt heran: „Aber Sie haben den ukrainischen Pass gegeben, ja?“
„Ich habe den israelischen gegeben, haben Sie ihn verloren?“ „Nein-nein.“
Er entfernte sich. Da sehe ich, wie meine Mutter mit der Kleinen kommt. Sie ging zum Wachbeamten: „Lassen Sie sie gehen“, sagt sie, „ es ist Zeit, meine Enkelin zu stillen.“ Sie ließen sie gehen, mich führten sie mit dem Kind in ein anderes Zimmer. Sie ließen mich der Kleinen die Brust geben. Und da fing meine Tochter an zu weinen, sie wollte schlafen und das beschleunigte die Sache etwas. 15 Minuten später kamen erneut zwei Mitarbeiter und fragten nach dem ukrainischen Pass. Dann gingen sie in ein Büro – dort sitzt ein würdiger Kerl und wieder dieselben Fragen, wer wo wohnt, wo sie sich aufhalten, Anmeldebescheinigung, Daten der Angehörigen, Telefonnummern. Und wieder ein Dutzend Fragen zu dem ukrainischen Pass, nun, wo er denn ist, warum er nicht da ist, wohin er geraten ist, er ist absolut notwendig. Sie verstehen, es gibt sehr viele gefälschte israelische Papiere.

„Wissen Sie“, sage ich, „ich kann Ihnen einen israelischen Inlandspass zeigen, eine israelische Geburtsurkunde meiner Tochter, eine Heiratsurkunde usw. Wenn es darum geht. Sie wollten sie ja nicht einmal sehen.“ Und am Schluss fragt er: „Wo waren Sie während der militärischen Rettungsaktion?“ Für diese Frage hätte ich ihn am liebsten erschlagen! Er fragte sogar, wie wir zur Toilette gegangen seien. Ich zögerte nicht – naturgetreu beschrieb ich ihm den Eimer, Beutel usw. Er hat das alles aufgeschrieben. Dann lehnt er sich in seinem Stuhl zurück und fragt: „Und an was glauben Sie, an Gott z. B.?“ „Nein“, antworte ich. Ich werde mit ihm noch über Gott sprechen!
„Und an irgendwelche Geister?“
Ich lüge nicht, ich weiß nicht, warum er das fragt…
„Und an irgendeinen Stein?“
„Ist das Ihr Ernst?“
„Ja, ich meine es ernst, manche glauben an prophetische Träume.“

Damit war das Verhör beendet. Mein Telefon entlud sich auf seinem Schreibtisch. Wir nahmen die Papiere. Als wir Anstalten machten zu gehen, entschuldigte er sich: „Sie müssen verstehen, das ist unsere Aufgabe.“ Dann standen wir noch anderthalb Stunden, warteten, bis sie meinem Bruder seine Papiere zurückgaben.

In Georgien waren wir willkommen wie zu Hause

Der Zoll in Georgien war in 10 Minuten erledigt. Das Erste, was ich dort sah, war die ukrainische Fahne. Ich liebe dieses Land sehr, und jetzt akzeptieren sie uns sogar wie zu Hause. Ich habe in der Ukraine nicht so viele gelb-blaue Fahnen gesehen – in drei Häusern zählte ich zehn. Sie spielten abends ukrainische Musik, überall stand „Ruhm der Ukraine!“ In einigen Geschäften gab man Ukrainern gratis Brot. Mein Mann schickte uns Geld, aber von uns nahmen sie nichts für die Unterbringung, sie weigerten sich strikt. Die Hausfrau sagte, dass sei ihre Hilfe für die Ukraine. Sie gab uns ein separates Haus und verpflegte uns…

Es stellte sich heraus, dass den neuen Machthabern schon eine entsprechende Liste vorlag und unsere Großmutter darin auf der Nummer 20 000 stand
Mein Bruder fand eine Wohnung für sich. Als sie erfuhren, dass er aus der Ukraine kam, nahmen sie keine Kopeke von ihm und abends kamen sie mit der ganzen Familie zur Unterhaltung. Meiner Schwester brach ein Zahn ab, sie ging zum Zahnarzt. Als man erfuhr, woher sie kam, nahmen sie kein Geld an.

In Georgien blieben wir eine Woche. Mein Mann kam zu mir und nahm mich und unsere Tochter mit nach Israel.

Die Eltern blieben solange in Georgien. Mein Bruder brachte seine Familie nach Italien, er selbst kehrte nach Mariupol zurück. Er hatte dort zwei Druckereien, eine hatten sie in die Luft gejagt, die zweite war heil geblieben – darin waren sehr teure Maschinen. Diese in die Ukraine zu schicken ist unmöglich. Er sagt, Geld braucht man nicht, es gibt nichts, für das man es ausgeben könnte. Ich schreibe ihm: „Kirill, in Russland herrscht Papiermangel, bedenke das.“ Er antwortet mir: „Bedenke, was du schreibst.“ Alle passen jetzt dort sehr auf, was sie sagen.

Es dauerte mehrere Wochen, bis wir uns auf die Umbettung unserer Großmutter geeinigt hatten. Es stellte sich heraus, dass den neuen Machthabern schon eine entsprechende Liste vorlag und unsere Großmutter darin auf der Nummer 20 000 stand. Das Problem wurde für 600 Dollar gelöst. Sie wurde exhumiert und auf dem Friedhof neben ihrem Mann begraben.

Israelische Bekannte berichten, dass im Lager „Metro“ ein Berg Leichen liege und Leute dort ihre vermissten Angehörigen suchen. Es herrscht ein starker Geruch, da die Körper sich zersetzen…

Die Zeugenaussage wurde am 24. Mai 2022 aufgezeichnet

Übersetzung: Dr. Dorothea Kollenbach