Jetzt zeigt sich, dass viele tot sind. Zum Beispiel die Freunde meiner Eltern. Meine Mutter ging sie besuchen, stieg auf die vierte Etage hinauf und sah, dass eine Granate direkt in die Wohnung eingeschlagen war. Dort sind sie auch verbrannt. Es war weder möglich, sie herauszuziehen, noch sie zu beerdigen
Statt einem Nachwort. Drei Monate später
Ich blieb in Lwiw, fand eine relativ preiswerte Wohnung und unterrichtete Englisch im Fernunterricht. In Krisenmomenten mobilisiert der Körper alle Kräfte, aber einige Monate danach beginnt er Störungen anzuzeigen. Dann machen sich Wehwehchen bemerkbar, Nierenprobleme, eine Folge der Kälte.
Ich will die Ukraine nicht verlassen, denn meine Eltern sind in Mariupol geblieben – manchmal gelingt es, ihnen durch Hilfe von Freiwilligen Medikamente und irgendwelche Sachen zukommen zu lassen. Manchmal grenzt es ans Lächerliche – ich wollte ihnen Streichhölzer schicken, aber bei uns ist auf allen Schachteln die ukrainische Fahne abgebildet… Es ist schwer zu verstehen, was dort jetzt vor sich geht. Ein konkretes Beispiel: In der Wohnung von Bekannten, die im Keller saßen, landete ein Treffer und alles geriet in Brand – Papiere, Geld, Telefone, absolut alles. Und sie lebten weiter im Keller. Sie bekamen keine Arbeit wegen fehlender Dokumente und aus demselben Grund erhielten sie keine humanitäre Hilfe. Aber alle Vorschläge, auf das Festland auszureisen, lehnten sie ab – bei uns, sagen sie, ist alles normal. Im Keller, angesichts des kommenden Winters. Und von solchen Menschen gibt es viele.
Für uns ist makaber - Schauspiele für Kinder auf einem riesigen Friedhof
Meine Eltern sind über achtzig, für sie ist ein Ortswechsel schrecklich, außerdem wird man ihre Wohnung sofort nach ihrem Weggang ausräumen. Im Haus sind alle Fenster entzwei, aber die neuen Machthaber ersetzten nur diejenigen, die zur Straße hin gingen. Die Wohnung meiner Eltern „blickt“ auf den Hof – bei ihnen ist auch alles defekt, der Balkon abgerissen, aber niemand macht Anstalten, die Schäden zu reparieren, von der Straße aus sieht man es ja nicht.
Und viele freuen sich – das Theater wird wiederhergestellt usw. Für uns ist das makaber – Schauspiele für Kinder auf einem riesigen Friedhof, aber sie freuen sich. Die Kinder gehen zur Schule, sitzen im Unterricht der (russischen) patriotischen Erziehung – und dann denkst du, wie können wir dann damit leben? Wir werden diese Leute nicht nach Russland jagen und Russland nicht sagen, sie mitzunehmen, aber es wird schrecklich…
Aber die Rückkehr – sie ist auch eine wirtschaftliche Frage. Wenn die Flüchtlinge kein Geld für die Miete einer Wohnung in der nicht okkupierten Ukraine haben, und die Bedingungen in Europa – ich weiß das aus Erzählungen – manchmal äußerst schwierig sind, dann werden die Leute sogar nach Mariupol zurückkehren.
Jetzt zeigt sich, dass viele tot sind. Zum Beispiel die Freunde meiner Eltern. Meine Mutter ging sie besuchen, stieg auf die vierte Etage hinauf und sah, dass eine Granate direkt in die Wohnung eingeschlagen war. Dort sind sie auch verbrannt. Es war weder möglich, sie herauszuziehen, noch sie zu beerdigen.
Mein Sohn hat einen Klassenkameraden, dessen Vater in seiner Wohnung von einer Granate getötet wurde. Das Kind und die Mutter überlebten, der Junge wurde dann evakuiert. Er nahm an einem Treffen mit Zelensky teil – es wurde im Fernsehen gezeigt.
Wir haben Freunde in dem benachbarten Bezirk, sie haben eine Tochter von 17 Jahren. Dort wurde das Familienoberhaupt auch getötet.
Viele melden sich einfach nicht – wir suchen einander in Chats, aber nicht alle antworten. Das heißt nicht, dass sie nicht mehr unter den Lebenden sind, aber die Hoffnung wird immer geringer.
Sascha studiert in Israel. Er wohnt in einem Jugenddorf bei Netania. Er begeistert sich für Sport. Er kam nicht in der Schule an, die wir zuerst ausgesucht hatten, aber wir danken der Verwaltung sehr – sie beschäftigen sich mit den Kindern, sie werden unterhalten, abgelenkt und man versucht die negative Erfahrung durch Krieg und Evakuierung auszulöschen.
Die Moskauer Verwandten habe ich blockiert –was können sie mir sagen? Dass bei uns alles gut sein wird? Das wird es nicht. Und was kann ich ihnen wünschen? Dass ihre Männer zum Krieg eingezogen werden? Warum einander auf die Nerven gehen?